Algorithmen prägten die Berufskarriere von Xavier Comtesse in all seinen vielen Funktionen als Forscher, Lehrer, Unternehmer, Diplomat, Publizist und Ideengeber. Deshalb widmete der altershalber abtretende Directeur romand von Avenir Suisse seine Abschiedsworte in Genf vor illustren Gästen aus Wirtschaft, Politik und Medien der mathematischen Logik. Wer befürchtete, während einer halben Stunde Verständnis für komplizierte Formeln vortäuschen zu müssen, schätzte den umtriebigen Mathematiker, Visionär und Denker Xavier Comtesse falsch ein. Nicht die Algorithmen selber galt es zu verstehen, sondern deren Bedeutung für die grossen Innovationen der vergangenen Jahrzehnte und im täglichen Leben.

Gute und böse Algorithmen

Auf Algorithmen baut das World Wide Web, und sie übernehmen die Suche nach den bei Google eingegebenen Begriffen. Hochfrequenzalgorithmen steckten hinter dem unter dem Namen «Flash crash» bekannten Einbruch der US-Aktienmärkte vom 6. Mai 2010. Auf Algorithmen basiert auch das Datamining, bei dem es darum geht, aus riesigen Datenmengen Verhaltensmuster und (Konsum-)Bedürfnisse zu erkennen oder geheime Informationen herauszufiltern. Die Tatsache, dass die «Los Angeles Times» am 17. März 2014 nach einem Erdbeben der Stärke 4,4 nahe der Millionenstadt Los Angeles als erste einen durch einen Schreibroboter auf der Basis von Algorithmen verfassten Bericht publizierte, dürfte nicht nur Journalisten zu denken geben.

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Xavier Comtesse, der langjährige Directeur romand von Avenir Suisse, tritt altershalber zurück.

Innovation schafft Reichtum

Die Frage, ob der technologische Wandel reicher mache oder Arbeitsplätze raube, habe ihn während seiner gesamten beruflichen Karriere begleitet, sagte Xavier Comtesse. Er ist überzeugt: «Innovation macht uns produktiver und somit reicher». Allerdings ist er sich durchaus bewusst, dass jeglicher Wandel auch zu Verlusten führt. So seien viele kleinere Buchhandlungen vom Markt verschwunden, nachdem Amazon den Online-Buchhandel – auch mit Hilfe von Algorithmen – revolutioniert hatte. Dennoch: Xavier Comtesses Innovationsglaube scheint unerschütterlich, und er hat damit so manchem unkonventionellen Projekt in der Romandie den Weg geebnet.

Wer hat die Herrschaft über das Handgelenk?

Besonders am Herzen liegt dem gebürtigen Neuenburger die Zukunft der Uhrenindustrie. Man müsse verstehen, dass Apple mit der Lancierung der iWatch nicht die Zeit, sondern das Handgelenk im Visier habe. Noch liege das Monopol über das Handgelenk bei der Schweizer Uhrenindustrie – und dieses gelte es zu verteidigen. Wer über das Handgelenk verfüge, könne Gesundheitsdaten messen, anzeigen, sammeln und kommerzialisieren: «Diese Algorithmen eröffnen einen riesigen Markt für personalisierte Medizin.»

Den Pioniergeist nicht verlieren

Xavier Comtesse sieht die grössten Innovationschancen der Schweiz im Gesundheitsmarkt, in der Zusammenarbeit etwa von Chemie, Biologie, Medizin, Informatik, Nanotechnologie und Mikromechanik. Es gebe aber derzeit nicht genug wirkliche Innovationen, die Garanten seien für neue Arbeitsplätze und für Wachstum. Wir legten zwar viel Wert auf gutes Unternehmertum, aber die Kreativität werde häufig zu wenig honoriert. Dabei sei sie im globalen Ideenwettbewerb enorm wichtig.

«Son style chic et ses formules choc»

«Xavier Comtesse war Avenir Suisse in der Romandie», würdigte Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz den scheidenden Directeur romand. Xavier Comtesse habe dem Think-Tank in der Westschweiz ein Gesicht und eine gerne gehörte Stimme verliehen, weil der promovierte Mathematiker vor allem auch ein begnadeter Kommunikator sei, «edel im Stil, aber pointiert in der Aussage». Dieses Talent habe er am liebsten als Vermittler und Katalysator für Innovationen zwischen der akademischen- und der Unternehmenswelt eingesetzt. In dieser Rolle habe er auch einen seiner grössten beruflichen Erfolge realisiert, die Gründung des ersten wissenschaftlichen Konsulats «swissnex» in Nachbarschaft des MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston. Xavier Comtesses Leidenschaft für den Disput konnte einfache Besprechungen unvermittelt in emotionale Dispute verwandeln: «Die Funken sprühten immer für den Liberalismus, dessen Banner er hochhält».