Die überraschende Aufhebung des Franken-Höchstkurses hat – unabhängig davon, ob sie sich in ein bis zwei Jahrzehnten rückblickend als weitsichtiger Geniestreich oder als einschneidende Fehlentscheidung erweisen wird – das (blinde) Vertrauen in ein fortwährendes Gedeihen des Wirtschaftsstandorts Schweiz vorerst etwas erschüttert. Von einer langfristigen Veränderung der Wachstumsdynamik wäre auch die AHV betroffen.

Die Zuwanderung als langjährige Sanierhilfe

Das AHV-Tool von Avenir Suisse erlaubt es, ihre Finanzierbarkeit für die nächsten Jahrzehnte in Abhängigkeit der Entwicklung volkswirtschaftlicher Einflussgrössen und allfälliger Anpassungen bei der AHV selbst zu prognostizieren. Die anhaltend hohe Zuwanderung der vergangenen Jahre hatte die Finanzierungsaussichten der AHV spürbar verbessert, vor allem, wenn man diese Entwicklung auch für die nächsten 1 bis 2 Jahrzehnte (etwas geringerem Mass) voraussetzte. Bewusst oder unbewusst taten das fast alle: Das Bevölkerungsszenario des Bundesamtes für Statistik (BfS) von 2010, das unter dem «mittleren Wanderungssaldo» eine Konvergenz der Nettozuwanderung auf 22‘500 Personen pro Jahr verstand, hätte Ende 2014, nach Jahren mit Zuwanderungsraten zwischen 60‘000 und 100‘000, wohl niemand als «mittel» bezeichnet, sondern als ziemlich unrealistische, radikale Senkung, die Ecopop-Anhänger zu Freudentänzen veranlasst hätte. Realistisch schien eher eine mittelfristige Konvergenz gegen 45‘000 – vom BfS als «hoher Wanderungssaldo» bezeichnet. Mit einer solchen Zuwanderung und den vom Bund verwendete ökonomischen Parametern würde der AHV-Fonds ohne weitere Eingriffe Ende 2029 leer sein, in jenem Jahr überstiegen die Ausgaben die Einnahmen schon um 9 Mrd. Fr. Gegenüber früheren Prognosen bedeutete das aber immerhin ein Aufschub um einige Jahre. Im besten Fall wird der kurzfristige Schock der Frankenaufwertung daran wenig ändern.

MIt dem AHV-Tool von Avenir Suisse können Sie Ihre eigene AHV-Prognose erstellen.

Wenn die Löhne stagnieren und die Zuwanderung einbricht

Was wären aber die Folgen eines Worst-case-Szenarios, indem ein anhaltend überbewerteter Franken die produzierende Industrie permanent aus der Schweiz vertreibt, wodurch die Reallöhne und die Preise langfristig stagnieren und die Nettozuwanderung auf 0 sinkt (also gleich viele Leute aus- wie einwandern)? Eine leichte Modifikation des AHV-Tools ermöglicht die Beantwortung dieser Frage:

In einem solchen «0-0-0-Szenario» würde der AHV-Fonds schon Anfang 2025, als in zehn Jahren, ins Minus fallen. Das Umlageergebnis (jährliche Einnahmen ohne Anlageertrag minus jährliche Ausgaben) läge 2025 bei -9,9 Mrd. Fr. und 2030 gar bei -15,4 Mrd. Fr. Im Basisszenario (Reallohnwachstum 1%, Inflationsrate 1%, Nettozuwanderung 45‘000) resultierten dagegen für 2025 bzw. 2030 Defizite von «nur» 5,5 Mrd. bzw. 9,3 Mrd. Fr. Noch eindrücklicher sind die Unterschiede bei der Entwicklung des Kapitalkontos: Im Basisszenario resultierte Ende 2030 bzw. Ende 2040 ein Schuldenstand von 10,7 Mrd. bzw. 77,3 Mrd. Franken. Im 0-0-0-Szenario läge das Konto schon 2030 mit 149 Mrd. Fr. im Minus und 2040 gar mit 302 Mrd. Fr. Diese Ergebnisse sind sogar eher noch optimistisch, denn die Modellierung geht von einer konstanten Erwerbsquote (unter den Personen in erwerbsfähigem Alter) und von einem kontinuierlichen Rückgang der Zuwanderung aus. In Wirklichkeit wäre das Worst-case-Szenario jedoch sicher mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und mit einem relativ abrupten Rückgang der Zuwanderung verbunden.

Wenn man sich ausgehend vom Basisszenario fragt, welche Anpassungen bei der AHV (Erhöhung Rentenalter, Erhöhung Beitragssatz, Erhöhung MwSt, Rentenkürzung) nötig wären, um das finanzielle Gleichgewicht der 1. Säule langfristig zu garantieren – ausreichen würde z.B. die Kopplung des Rentenalters an den Anstieg der Lebenserwartung in Kombination mit der Erhöhung des Beitragssatzes um 0,5 Prozentpunkte – so kann man sich beim 0-0-0-Szenario fragen, welche Anpassungen nötig wären, um wenigstens wieder die Werte des Basisszenarios zu erreichen.

Das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln

Wie beim AHV-Tool gewohnt, können Sie beliebige Kombinationen selber auswerten. Die wichtigsten seien hier aber vorweggenommen:

  • Der Beitragssatz müsste von 8,4 auf 11% erhöht werden, oder
  • der Mehrwertsteuersatz müsste von 8,0 auf 11% erhöht werden, oder
  • die Renten müssten um 23% gekürzt werden.

Würde man das Rentenalter an die Entwicklung der Lebenserwartung koppeln, um die durchschnittliche Rentenbezugsdauer konstant zu halten (ein Reformvorschlag, den Avenir Suisse schon 2009 formulierte), reichten folgende Parameter aus:

  • Ein Beitragssatz von 8,9%, oder
  • ein Mehrwertsteuersatz von 8,6%, oder
  • Rentenkürzungen um 5%

Um vom 0-0-0-Szenario die Finanzierungsaussichten des Basisszenarios zu erreichen, wären also zufälligerweise genau dieselben Eingriffe nötig (z.B. Kopplung Rentenalter an Lebenserwartung & Erhöhung Beitragssatz um 0,5 Prozentpunkte) wie, um die AHV unter Annahme des Basisszenarios langfristig im finanziellen Gleichgewicht zu halten. Oder anders ausgedrückt: Wollte man ausgehend von einem 0-0-0-Szenario die Finanzierung der AHV langfristig sichern, müssten die Eingriffe im Vergleich zum Basisszenario das doppelte Ausmass haben. Ein solches Worst-case-Szenario mag unwahrscheinlich sein (das haben «Worst cases» so an sich), es zeigt aber gut, wie sensibel die AHV auf Veränderungen bei den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagiert. Die aktuellen Prognosen des Bundesamtes für Sozialversicherungen stützen sich auf ziemlich optimistische Annahmen.