Die Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) des Bundesrats sieht Ausgaben von 26 Mrd. Franken für die Jahre 2017‒2020 vor. Damit sollen die Kreditrahmen für die Hochschulen (ETH, die kantonalen Universitäten und Fachhochschulen), für die Berufsbildung, den Nationalfonds (NF), die Kommission für Technologie und Innovation (KTI) und weitere Forschungs- und Förderungseinrichtungen im In- und Ausland erneuert werden.
Obwohl die Ausgaben für diesen prioritären Bereich relativ zu anderen Bundesaufgaben seit Jahren übermässig wachsen, erfolgte sofort nach der Veröffentlichung der Botschaft ein kollektiver Aufschrei des Hochschulestablishments (swissuniversities, Nationalfonds, Akademien, ETH-Rat), weil der Bundesrat leichte Kürzungen vorgenommen hatte. Man sieht die Führungsrolle und damit den Denk- und Werkplatz Schweiz gefährdet. Um dieses alle vier Jahre stattfindende Beschwerderitual zu verstehen, muss man die Entstehungsgeschichte der BFI-Botschaft kennen.
Alle Bildungs-und Forschungsträger unterbreiten den Bundesbehörden im Vorfeld der BFI-Botschaft ihre Anträge. Darin verpacken sie ‒ in Antizipation der üblichen Abstriche des Bundesrates ihm Rahmen der Abstimmung mit den übrigen Bundesaufgaben und dem Finanzplan ‒ nicht nur das Notwendige, sondern auch alles Wünschbare. Die erste Empörung legt sich jeweils relativ rasch, und man geht wieder zur Tagesordnung über.
Die politökonomische und volkswirtschaftliche Sichtweise
- Die Politik im BFI-Bereich funktioniert ‒ vereinfacht gesagt ‒ nach dem «Black-Box-Prinzip». Danach gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen In- und Output. Man muss nur genügend Mittel in das komplexe Bildungs- und Forschungssystem einschiessen, dann kommt von selbst irgendwie das Beste heraus. Obwohl die empirische Forschung diesen strengen Zusammenhang längstens widerlegt hat, erfreut sich diese Sichtweise in der Bürokratie und der Politik nach wie vor grösster Beliebtheit. Wer wagt schon, Bildungs- und Forschungsausgaben zu kürzen oder auf Ineffizienzen hinzuweisen? So gibt es denn auch kaum je echte Kürzungen, sondern schlimmstenfalls geringere Zuwachsraten.
- Das schweizerische Wissenschaftssystem, verstanden als die Summe von Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik, ist auf eine solide, gut dotierte staatliche Finanzierung angewiesen. Mit seiner Botschaft setzt der Bundesrat diesbezüglich ein glaubwürdiges Zeichen. Es gibt wenige Länder, in denen die Akteure des Wissenschaftssystems über eine derart verlässliche und relativ grosszügige Grundfinanzierung verfügen. Denn die Rahmenkredite werden auch in den jährlichen Budgetberatungen im Wesentlichen stets bestätigt. So geben z.B. die ETH rund 90’000 Franken pro Student aus, was nur von wenigen amerikanischen Spitzenuniversitäten übertroffen wird. Allerdings sind deren Studiengebühren signifikant höher als in der Schweiz. Im Übrigen wird Bildung und Forschung nicht mit BIP-Prozenten, sondern mit absoluten Franken finanziert.
- Die Erfahrung lehrt, dass mit der BFI-Botschaft kaum strategische Weichenstellungen vorgenommen oder wichtige bildungs-und forschungspolitische Fragen geklärt werden können. Deshalb werden z.B. alle Aktivitäten ausserhalb des engen Bildungs- und Forschungsbereichs (Hochschulen, NF, KTI, Berufsbildung) im Wesentlichen einfach fortgeschrieben bzw. weitergeführt. Das betrifft nicht nur den nationalen Förderungsbereich (Akademien, CSEM, Science et Cité, TA-SWISS usw.), sondern auch die internationalen Aktivitäten (Eureka, Cost, Iter, Flare usw.). Zwar gibt es heute für fast alles und jedes Evaluationen. Wenn diese aber die Erkenntnis zutage fördern, dass der bisherige Erfolg der ETH auf «Autonomie, Qualität der Lehre und Forschung auf höchstem Niveau, ergänzt durch anwendungsorientierte Forschung, Technologieentwicklung und Innovation» beruhe (S. 60 der Botschaft), so sind dies eher Plattitüden als konkrete Handlungsempfehlungen. Wer spricht etwa heute noch von der nationalen Bildungsstrategie der Akademien der Wissenschaften? Was bezwecken «factsheets» über die Schweiz und den Rohstoffhandel, in denen längst Erkanntes nochmals zusammengetragen wird? Welche positiven Impulse gehen von Eureka oder Cost auf das schweizerische Wissenschaftssystem aus? So wird vermutlich Zweit- und Drittrangiges einfach weitergeführt, weil nie unter effektiven Knappheitsbedingungen, wie sie private Unternehmen kennen, entschieden werden muss. Die Frage, ob an Fachhochschulen eigenständige Doktorate möglich sein sollen oder nicht, wird auch weiterhin ad hoc behandelt, bzw. vor sich hergeschoben.
- In der Berufsbildung soll zum ersten Mal der Richtwert von 25% Bundesanteil an den gesamten Ausgaben über die ganze Planungsperiode erreicht werden. Es ist zu hoffen, dass damit der ewige Streit über die angebliche Geringschätzung der höheren Berufsbildung (Tertiär B), die nicht nur titelmässig, sondern auch finanziell benachteiligt werde, beendigt wird. Die Gleichstellung von beruflicher und schulischer Ausbildung liesse sich allerdings auch auf anderem Weg als über höhere Bundesausgaben sicherstellen. Wenn verschiedene Studien ein «Überinvestieren» in der Hochschuldausbildung diagnostizieren, verstanden als eine Fehlbeschäftigungsquote auf dem Arbeitsmarkt, so ist das ein Indiz dafür, dass Studieren offensichtlich zu billig ist und mehr als Konsum- statt als Investitionsgut verstanden wird. In der Tat wird das Hochschulstudium mehr oder weniger gratis angeboten, während Absolventen der höheren Berufsbildung und ihre Arbeitgeber für diese Ausbildung 30‒40’000 Franken aufbringen müssen. Im Sinne einer effizienteren Steuerung des Bildungssystems könnten die Studiengebühren erhöht und damit den Bedingungen der höheren Berufsbildung angenähert werden. Längerfristig wäre der Übergang zur Benutzerfinanzierung mittels der Einführung von Bildungskonten, wie das Avenir Suisse in seinem Ideenbuch für die Schweiz vorgeschlagen hat, anzustreben. Aber das sind wahrscheinlich allzu ketzerische Gedanken, um in der BFI-Botschaft erörtert zu werden.
- Dass die wissenschaftliche Nachwuchsförderung immer noch als eine Leitlinie der BFI-Botschaft betont werden muss, stellt der Hochschulpolitik kein gutes Zeugnis aus. Seit 2000 gibt es hierzu unzählige Berichte, Programme und Fördermassnahmen im Rahmen des NF (Stichwörter sind Start-Programme, Ambizione, Post-Doc-Programme, Tenure-Track usw.). Zudem erhält man von aussen den Eindruck, dass die Nachwuchsförderung in erster Linie in den Bereichen Philosophie, Soziologie, Politologie, Geschichte, Ethnologie ein Problem ist , während etwa die ETH diese recht gut im Griff zu haben scheint. Nicht die Politik, sondern die Hochschulen selbst müssen das Problem der Nachwuchsförderung lösen.
- Schliesslich soll die Innovationsförderung mit langfristig und strukturell wirkenden Massnahmen priorisiert werden. Dabei ist allerdings auch der Zusammenhang zwischen Regulierung und Innovation ins Blickfeld zu nehmen. Es hilft wenig, die Wichtigkeit der Start-ups als Transmissionsriemen für die technologie- und wissensbasierte Erneuerung der Wirtschaft zu betonen, wenn gleichzeitig das Vermögen von Start-up-Gründern steuerlich drangsaliert wird oder wenn innovationsstarke Unternehmen Regulierungen als grössten Hindernisfaktor beklagen. Unternehmen sind auf einen Rechtsrahmen angewiesen, der auf das Ermöglichen statt auf das Verhindern setzt.
Bildungspolitik steht nicht ausserhalb des Haushalts
Es braucht letztlich eine Wirtschaftspolitik aus einem Guss, damit sich die staatlichen Ausgaben für Bildung, Forschung und Entwicklung voll entfalten können. Dabei kann die Politik das Augenmerk nicht nur auf die Input-Seite werfen, sondern muss sich auch um das optimale Zusammenwirken der verschiedenen Träger des Wissenschaftssystems kümmern und Ineffizienzen, Doppelspurigkeiten und Überholtes beseitigen. Deshalb kann die Bildungs-, Forschungs- und Innovationspolitik als prioritärer Bereich auch nicht einfach aus den Bemühungen um einen stabilen Bundeshaushalt herausgehalten werden, auch wenn klar ist, dass dieser Bereich auf gut dotierte Finanzmittel angewiesen ist.