Die Vorstellung, dass Multis wegen ihrer angeblichen Macht eine besondere Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Umwelt hätten, setzte zu Beginn der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts ein. Sie  führte zu den 1976 verabschiedeten und später überarbeiteten «OECD Leitsätzen für multinationale Unternehmen» als älteste Verhaltensnorm für Corporate Social Responsibility (CSR). Die darin verankerten Prinzipien ohne Rechtsverbindlichkeit sollen gewährleisten, dass die Aktivitäten multinationaler Gesellschaften im Einklang mit den staatlichen Politiken stehen.

Im Jahr 2000 gesellte sich der vom damaligen UNO-Generalsektretär Kofi Annan lancierte «United Nations Global Compact» hinzu. Mit seiner freiwilligen Teilnahme erklärt ein Unternehmen seinen Willen, soziale und ökologische Mindeststandards einzuhalten, vor allem die international verkündeten Menschenrechte zu respektieren und ihre Einhaltung innerhalb seiner Einflusssphäre zu fördern. Diese Selbstverpflichtung ist deshalb nicht gering zu schätzen, weil die Menschenrechte zwar in die meisten nationalen Verfassungen eingeflossen sind, aber in der Rechtsanwendung und Rechtsprechung zahlreicher Länder nur ungenügend oder überaupt nicht zum Zug kommen.

Eigentlich geht es um Stakeholder

Versteht man ein Unternehmen im Sinne von Ronald Coase als ein Netz von Verträgen mit Angestellten, Kunden, Lieferanten, Eigentümern und Managern, sind eigentlich alle relevanten Stakeholder bereits einbezogen. Man kann sich deshalb zu Recht fragen, warum es noch CSR als «tripple bottom line» braucht, wo neben der Jahresrechnung einer Firma noch willkürlich zwei weitere schwer definierbare Erfolgsgrössen hinzugefügt werden sollen: ein gesellschafts- und ein umweltbezogener Wert. Sollte CSR so verstanden werden, als müssten multinationale Unternehmen zugunsten vager gesellschaftlicher Ziele auf  Effizienz verzichten, wäre das ein verhängnisvoller Irrtum.

Grundsätzlich möchte man meinen, dass das Rechtssystem eines Landes  ohne Abstufung  für alle Unternehmen gleichermassen gilt. Es versteht sich eigentlich von selbst, dass Unternehmen in Einklang mit den geltenden Gesetzen, vor allem den Arbeitgeberpflichten, Umweltvorschriften und Wettbewerbsregeln,  wirtschaften.  Dies gilt gerade für multinationale Gesellschaften. Diese stehen fast  permanent im Fokus von Politik, Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Social Media. Sie müssen informalen, expliziten und impliziten Erwartungen einer breiten Öffentlichkeit Beachtung schenken, wenn sie ihre Reputation nicht gefährden wollen.

Beliebtes Tummelfeld

Dessen ungeachtet hat sich CSR  in den vergangenen 40 Jahren fast zu einer eigenen Industrie entwickelt, in der sich internationale Organisationen, staatliche Stellen, NGO, kirchliche Kreise usw. tummeln. Und die grossen Unternehmen scheinen sich mit ihren CSR-Berichten zur Veredelung  ihres Tuns fast überbieten zu wollen. Damit unterwerfen sie sich nicht nur freiwillig einer externen Kontrolle, sondern sie setzen auch ihre Reputation und Glaubwürdigkeit aufs Spiel.  Weil es bis heute keine exakte Definition dessen gibt, was CSR eigentlich beinhaltet und wie sie gemessen werden soll,  wird der Begriff nur allzu gerne von Medien, Politik und Öffentlichkeit auf dem Buckel multinationaler Unternehmen ins Feld geführt.  Man wird auch nie sagen können, ob CSR der Welt genützt oder ob der Aufwand dafür zu Fehlanreizen und Verschlimmbesserungen geführt hat. Das ist der Charme unbestimmter Konzepte.

Der Staat in der Verantwortung

Aus der Globalisierung lässt sich sowohl rechtstheoretisch als auch politisch keine besondere gesellschaftliche Verantwortung für multinationale Unternehmen ableiten. Der internationale Austausch von Gütern und Dienstleistungen ist vor allem auf die Realisierung ökonomischer Vorteile ausgerichtet – und eigentlich nicht auf die Einhaltung von Menschenrechten. Gerade der freie internationale Handel hat aber mit dazu beigetragen, dass sich die Idee der Menschenrechte ausbreiten konnte. Trotzdem können und dürfen Multis nicht als Ersatz für den Staat als oberste Rechtsinstanz und als unmittelbare Hüter der Menschenrechte dienen. Der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ist eine nicht delegierbare Aufgabe des Staates.

Die zentrale Aufgabe der Wirtschaft ist es, über innovative Produkte und Dienstleistungen zu Marktpreisen Gewinn zu erzielen. Wenn Unternehmen dies tun, verbessern sie die Lebensumstände breiter Kreise im selben Mass wie ihre eigenen Geschäftsperspektiven.  Gute Unternehmensführung zeichnet sich somit durch die Schaffung wettbewerbsfähiger Produkte und Dienstleistungen aus und nicht  durch die Verfolgung eines vermeintlichen Gemeinwohls. Mit anderen Worten: Sozial ist, was die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens dauerhaft stärkt. Ein Unternehmen, das keine Gewinne macht oder darauf verzichtet, handelt letztlich gesellschaftlich verantwortungslos, weil es entweder seine Beschäftigten schädigt oder den Steuerzahlern auf der Tasche liegt.

Mehr zu diesem Thema entnehmen Sie dem Diskussionspapier «Multis: Zerrbild und Wirklichkeit. Der vielfältige Beitrag globaler Unternehmen zum Schweizer Wohlstand».