Urs Meister, Andreas Heinemann, Marc Amstutz, Peter Balastèr und Roger Zäch (von links nach rechts)

Er strebe beim Kartellgesetz einen Paradigmenwechsel an, versprach Bundesrat Johann Schneider-Ammann im September 2011 dem Ständerat: Eine Verschärfung solle für eine Effizienzsteigerung sorgen, also für zusätzlichen Wettbewerb. Das Parlament forderte im letzten Jahr Massnahmen, um die Belastungen der Schweizer Wirtschaft durch den starken Franken abzuschwächen. Als eine der wenigen wirksamen Möglichkeiten erschien dabei ein griffigeres Kartellrecht, vor allem im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz.

«Kartellgesetz im Banne des Wechselkurses» hiess denn auch das Thema des diesjährigen Wettbewerbspolitischen Workshops, zu dem Avenir Suisse zum sechsten Mal die Spezialisten einlud. «Der Franken dürfte lange stark bleiben», warnte Prof. Roger Zäch von der Uni Zürich. Nach dem Detailhandel drohten jetzt auch den KMU Probleme, weil sie zu überhöhten Preisen bei Schweizer Händlern einkaufen müssten, statt die Güter im Ausland beziehen zu können. Die Produzenten dürften nicht mehr missbräuchlich in der Schweiz Kaufkraft abschöpfen, meinte Zäch. Er warb deshalb für die Motion von Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo (SP), die ausländische Firmen zwingen will, Schweizer Händler und Konsumenten im Ausland zu den dortigen Preisen zu bedienen.

Mutiger Systemwechsel

Was die Politik machen will, erklärte Peter Balastèr, Leiter des Ressorts Wachstum und Wettbewerbspolitik im Seco. Der Bundesrat verabschiedete seine Botschaft im Februar, die Kommissionsberatungen sollten nach den Sommerferien beginnen. Die Gesetzesrevision sieht vor allem zwei griffige Massnahmen vor: einerseits eine Modernisierung der Institutionen, anderseits ein Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeit bei harten horizontalen und vertikalen Kartellen (Art. 5 des Kartellgesetzes).

Die Reform der Institutionen soll die Unabhängigkeit der Wettbewerbshüter stärken, die Professionalität im Spruchkörper erhöhen und das langwierige Verfahren bis zum letztinstanzlichen Entscheid beschleunigen. Dabei gilt es vor allem, die Wettbewerbskommission (Weko) von ihrem Sekretariat zu trennen, weil sie heute über Fälle entscheidet, die sie selber untersucht hat. Dafür gibt es drei Modelle, die zur Diskussion stehen: 1. das Trennen des Sekretariates von der Weko; 2. das Schaffen einer Wettbewerbsbehörde, deren Anträge von einem Wettbewerbsgericht behandelt würden, in dem neben Bundesverwaltungsrichtern auch Praktiker sässen; 3. der Entscheid über Anträge der Wettbewerbsbehörde durch das Bundesverwaltungsgericht und letztinstanzlich – wie in allen Fällen – durch das Bundesgericht. Die Schweiz betreibe ein Vabanquespiel, wenn sie zu einem Gerichtssystem übergehe, mahnte allerdings der Zürcher Professor Andreas Heinemann als Vizepräsident der Weko. Die Auswirkungen auf die Verfahrensdauer seien unklar, und das vorgeschlagene System sei im Rechtsvergleich noch nicht ausreichend untersucht: «Ein Systemwechsel erscheint mir deshalb mutig.»

Wie könnte der Gebrauch aussehen?

Noch mehr «Explosivstoff» sah Prof. Marc Amstutz von der Uni Freiburg beim Teilkartellverbot, wie es die Gesetzesrevision vorsieht. Bisher müssen die Wettbewerbshüter ihre Vermutung beweisen, dass eine Wettbewerbsbeschränkung vorliegt. Neu will das Gesetz horizontale oder vertikale Abreden verbieten; es liegt an den Unternehmen, sich zu rechtfertigen, also deren Effizienz zu beweisen. Er fühle sich wie jemand, der ein Auto kaufe, sagte Amstutz: «Wir sind noch am Lesen des Katalogs und fragen uns: Wie könnte denn der Gebrauch aussehen?» Der vorgeschlagene Artikel sei unschlüssig und ausufernd, bemängelte der Jurist. Bei der Gesetzesrevision gehe es tatsächlich um einen Paradigmenwechsel: «Damit wird einschneidend in unsere Wirtschaftsverfassung eingegriffen – dessen sollte man sich bewusst sein.»

Die lebhafte Diskussion förderte schliesslich bedeutende Differenzen zwischen den Rezepten der Ökonomen und jenen der Juristen zutage. Ein Ökonomieprofessor regte an, den Grenzschutz radikal abzubauen. Dann wäre es kein Problem, wenn Unternehmen durch Preisdifferenzierung die Kaufkraft abzuschöpfen versuchten. Änderungen am Wettbewerbsrecht seien daher nur eine zweitbeste Lösung. Heute werde aber der Grenzschutz mit Steuergeldern noch gefördert. Und ein anderer Teilnehmer wandte ein, Preisdifferenzierung durch Unternehmen sei letztlich nichts anderes als das Ergebnis wirksamen Wettbewerbs.

So zeigte sich in der Diskussion klar, dass die vorgeschlagene Revision des Kartellgesetzes noch heftigen Widerstand zu überwinden hat.