«Die solare Grundversorgung: Sonnenstrom für alle», so der Titel einer Medienmitteilung des Bundes von letzter Woche. Konkret geht es um einen wissenschaftlichen Artikel von Forschern der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Was auf den ersten Blick sympathisch tönt, verdient eine genauere Betrachtung.

Die Forscher propagieren in ihrem Papier, dass der Staat jeder Einwohnerin, jedem Einwohner 4400 kWh Solarstrom pro Jahr «gratis» zur Verfügung stellt. Wem diese Zahl nicht viel sagt: Das ist etwa das, was eine vierköpfige Familie derzeit pro Jahr an Strom verbraucht.

Weshalb diese Forderung? Die Antwort: Der staatliche Strom soll die fossile Energie ersetzen und die Energiewende vorantreiben. Dafür würden auf jedem dritten Schweizer Dach Solarmodule installiert. Und es soll schnell gehen: Über fünf Jahre würde dies den Staat laut den Empa-Forschern 58 Mrd. Fr. kosten. 50‘000 Personen sollen die Module installieren, wenn möglich über ein «Solarjahr» von jungen Menschen (als Alternative zum Militär- oder Zivildienst).

Die Autoren argumentieren, die Grundversorgung mit Strom sei vergleichbar mit Bildung, Strassen oder der Wasserversorgung, die auch von der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt würden. Diese Argumentation steht auf tönernen Füssen – und das aus drei Gründen:

  • «Gratis» gibt es nicht: «Gratis-Strom» weckt falsche Erwartungen, weil der Staat die 58 Mrd. irgendwo hernehmen muss. Entweder verschuldet er sich stärker, erhöht die Steuern und Abgaben oder spart das Geld andernorts ein. Im Übrigen ist Wasser nicht gratis und bezahlen die Automobilisten Investitionen in die Strassen über die Autobahnvignette und die Mineralölsteuer.
  • Mangelnde Versorgungssicherheit: Solarstrom ist nicht immer da, wenn man ihn braucht. Von «Grundversorgung» kann man bei diesem Vorschlag deshalb nicht sprechen. Man erhält als Nutzer keinen Grundstock an Strom, den man nach Wunsch verbrauchen kann. Rein rechnerisch kann man mit einem riesigen Solarausbau zwar den Energiebedarf eines Jahres decken – aber «rechnerisch» hilft nicht weiter, wenn es im Sommer viel zu viel Strom und im Winter zu wenig hat.
  • Wenn etwas nichts kostet, wird es übernutzt. Konsumentinnen und Konsumenten haben keinen Anreiz, sparsam oder effizient mit einem Gut umzugehen, wenn dessen Preis null ist. Da hilft es auch nichts, wenn die Autoren mahnen: «Die kostenlose Energie soll nicht dazu verführen, sie zu verschwenden.» Das heutige Stromsystem leidet gerade daran, dass es zu wenige Preissignale gibt, dass kaum Anreize da sind, die Nachfrage und Produktion aufeinander abzustimmen und Strom einzuspeisen, wenn er gebraucht wird.

Gratis Kernkraft? Was wäre, wenn …

Es spricht also schon aus grundsätzlichen Erwägungen einiges gegen die «solare Grundversorgung». Aber wenn man das Gedankenspiel schon einmal aufnimmt, warum nicht mit dem verpönten, aber ebenfalls CO2-freien Atomstrom durchrechnen?

Zunächst: Mit den 58 Mrd. Fr. würde man Solaranlagen mit einer Leistung von 39 Gigawatt (1 GW = 1 Mio. Kilowatt) installieren. Solaranlagen erreichen in der Schweiz laut den Autoren 1000 Volllaststunden, was einem Nutzungsgrad von 11,4% entspricht. Damit beträgt der durchschnittliche Output 4,4 GW.

Kernkraftwerke liefern während mindestens 80% der Zeit Strom (Gösgen und Leibstadt kamen in den letzten Jahren auf über 90%), man müsste also KKW mit einer Leistung von 5,5 GW errichten, damit sie im Schnitt 4,4 GW liefern. Die durchschnittlichen Kosten für ein neues KKW in Europa und den USA betragen rund 10‘000 Fr. pro kW Leistung (in Asien liegen die Kosten deutlich niedriger). Damit kommt man auf 55 Mrd. Fr. für 5,5 GW.

Neue Kernkraftwerke wären also ungefähr gleich teuer wie die vorgeschlagene «solare Grundversorgung». Natürlich: Bei KKW besteht das Problem der Endlagerung des radioaktiven Abfalls, zudem ist der Bau oft mit Verzögerungen verbunden und ist deren Strom im Sommer ebenfalls nur wenig Wert. Doch KKW hätten im Vergleich zum Solarstrom mehrere Vorteile:

  • Winterstrom: KKW liefern gut die Hälfte des Stroms im Winterhalbjahr. Bei der Solarinitiative müsste hier zusätzlich investiert werden, um auch in diesen Phasen genügend Strom zu haben. Dabei ginge es um Windkraftwerke sowie Gaskraftwerke mit CO2-Abscheidung oder grünem Wasserstoff, was beides teuer ist.
  • Langlebigkeit: KKW liefern 60 oder sogar 80 Jahre lang Strom, während Solarmodule nach etwa 30 Jahren ausgetauscht werden müssen.
  • Netzintegration: Neue KKW, besonders als Ersatz für alte, dürften einfach ins heutige Netz integrierbar sein, während im Fall eines so raschen und enormen Ausbaus der Solarenergie für das Netz wohl zusätzliche Milliarden nötig wären.
  • Speicherbedarf: Im Fall von Solarstrom kämen die Kosten für die Speicherung dazu – und zwar nicht nur die schon angesprochene saisonale Speicherung, sondern jene über den Tagesverlauf. Nur der Illustration wegen sei angenommen, jeder zweite Schweizer Haushalt würde (allein oder im Mehrfamilienhaus) Speicher installieren, um Solarstrom vom Tag für die Nacht zu speichern. Dies würde zusätzlich 16 Mrd. Fr. kosten (2 Mio. x 8000 Fr.).

Fazit: Die Sonnenblume allein reicht nicht

Das Empa-Papier propagiert somit eine nur vermeintlich naheliegende und günstige Lösung. Die Forscher sprechen von einer «Sonnenblumengesellschaft», bei der sich der Stromverbrauch nach der Sonne richtet. Stromspeicherung bezeichnen sie als «Annehmlichkeit». Doch für Spitäler, die Industrie, den öffentlichen Verkehr etc. ist eine sichere Stromversorgung eine schiere Notwendigkeit.

In der Energiewende sollte es deshalb darum gehen, die drei Ziele Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit optimal zu kombinieren – mit Milliardenbeiträgen und Milizarbeit primär auf Dach-Solaranlagen zu setzen, genügt keinem dieser Ziele.

Gesucht ist ein möglichst günstiger Mix aus CO2-freien Quellen, der den künftigen Strombedarf bedient. Statt staatlichem «Gratis»-Strom braucht es preisliche Anreize, damit sich Investitionen ins Stromsystem lohnen und Strom nicht verschwendet wird. Und wenn der Staat fördern will, dann gezielt dort, wo es ein Problem gibt, etwa bei der Versorgungssicherheit im Winter. «Die solare Grundversorgung» der Empa-Forscher mag emotional einen gewissen Appeal haben, aber auf den zweiten Blick bleibt von der Verheissung wenig übrig.