Das hätte aufs Erste wohl kaum jemand gedacht: Der Kurs der Aktien der grossen Schweizer Verbundunternehmen Alpiq (Aktionäre sind hier vor allem die Westschweizer Kantone, Städte und Gemeinden) und BKW (zu 52,54% vom Kanton Bern kontrolliert) hat sich seit Anfang 2008 ähnlich schlecht entwickelt wie jener der krisengeschüttelten Grossbank UBS. Dementsprechend lag die Kursentwicklung auch deutlich unter jener der grösseren Schweizer Unternehmen insgesamt, wie sie im SMI zum Ausdruck kommt. Man hat mit anderen Worten als Aktionär der Stromkonzerne seit Anfang 2008 gleich viel Geld verloren wie als Aktionär der UBS. Der Lehren daraus sind mehrere.

Abhängige «Wertvernichtung»

Eine erste lautet, dass man vorsichtig sein muss mit Aussagen wie jener, das Management eines Unternehmens habe Werte vernichtet, wenn der Kurs sinkt. Oder wollte man tatsächlich behaupten, die Führungsspitzen der Verbundunternehmen hätten fast vier Fünftel des Ausgangswertes in den abgelaufenen vier Jahren vernichtet, wie man das mit Blick auf die Banken jeweils relativ locker tut? Ganz offensichtlich sind alle Branchen externen Faktoren ausgesetzt, die sie nicht oder nur begrenzt beeinflussen können. Das gilt für Branchen der sogenannten Realwirtschaft ebenso wie für Banken und Versicherungen.

Etwas anders formuliert – und das ist die zweite Lehre – gibt es keine sicheren Geschäfte. Das Geschäftsleben ist voller Risiken. Pauschale Aussagen nach dem Motto «Energie braucht es immer», welche die besondere Attraktivität und Sicherheit eines wirtschaftlichen Engagements bei den Stromversorgern belegen sollen, führen daher in die Irre. Die internationalen Energiemärkte, in die die Schweiz stark integriert ist, sind unsicher und volatil. Die Schweiz ist ein Preisnehmer. Die Preise für Strom bilden sich in einem internationalen Kontext. Die Nachfrage wird im Wesentlichen durch Konjunktur und Wachstum bestimmt, das Angebot – bzw. die Preise, zu denen Strom angeboten wird – durch die Kraftwerkskapazitäten und deren Struktur sowie durch die Preise für Primärenergie, und zwar für Kohle und vor allem für Gas.

Das erklärt, weswegen die Marktpreise seit Monaten gedrückt sind, weswegen sich trotz der Abschaltung mehrerer Kernkraftwerke in Deutschland der Strompreis am Spotmarkt auf einem sehr massvollen Niveau bewegt und weswegen auch die Strompreise am Terminmarkt für das Jahr 2012 weit unter jenen von 2008 notieren. Der ursprünglich durch die Abschaltung verursachte Preissprung hat sich dort praktisch vollständig wieder zurückgebildet. Für die Schweizer Produzenten kommt erschwerend hinzu, dass Strom im europäischen Markt in Euro gehandelt wird. Der starke Franken schränkt den Preisbildungsspielraum also zusätzlich ein.

Absurdes Klumpenrisiko

Die dritte und wohl wichtigste Lehre aus der Grafik ist jedoch, dass die Beteiligungen der Kantone an den Stromversorgern in einer ökonomischen Perspektive reichlich fragwürdig sind – und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen zeigt sich indirekt am Kursverlauf, dass der Versuch der Kantone, eine eigenständige Energiepolitik zu betreiben, zum Scheitern verurteilt ist: Die Regulierung der Energiemärkte erfolgt auf nationaler und teilweise internationaler Ebene, die Preise werden ohnehin international gebildet. In einem solchen Umfeld bringen Kraftwerksstrategien und Organisationsstrukturen, die sich an den föderalen Beteiligungsverhältnissen orientieren und weitgehend politisch motiviert sind, nur Effizienzverluste und behindern das Funktionieren des Marktes. Zur Versorgungssicherheit tragen sie nichts bei.

Zum anderen zeigt sich, welch absurde wirtschaftliche Risiken die Kantone als Mehrheitseigner der Verbundunternehmen auf sich nehmen. Beispielsweise hatte die BKW-Beteiligung des Kantons Bern (der Kanton hält etwas über 52% am Unternehmen) Ende 2007 noch einen Wert von rund 4 Mrd. Fr., heute ist das gleiche Aktienpaket weniger als 1 Mrd. Fr. wert. Dieser Wertverlust machte sich im Haushalt des Kantons nur deshalb nicht bemerkbar, weil dort die BKW-Beteiligung mit dem Nominalwert von knapp 70 Mio. Fr. in den Büchern steht. Würde der Kanton seine finanzielle Situation so darstellen, wie dies heute private Unternehmen ganz selbstverständlich tun (müssen), würde das Klumpenrisiko, das ein Kanton – in diesem Fall Bern – für die Kantonsfinanzen und die Steuerzahler mit einer solchen Beteiligung eingeht, offensichtlich. Was also ordnungspolitisch seit je nicht in eine offene, wettbewerbliche Privatrechtsgesellschaft passt, nämlich die Beteiligung der Kantone an den Verbundunternehmen, ist also auch ökonomisch wenig sinnvoll. Die ausgeschütteten Dividenden ändern daran nichts, denn sie liessen sich auch in Form von Steuerneinziehen. Private, breit diversifizierte Aktionäre wären im risikoreichen Stromgeschäft die geeigneteren Risikoträger als die Kantone.

Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 31. Dezember 2011.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.