Die Minder-Initiative wirft  Fragen auf.  Nicht diejenigen, welche landauf landab diskutiert werden, sondern tiefgründigere, schwerwiegendere. Mit der Analyse, das Volk habe der «wirtschaftlichen Elite» einen Denkzettel verpasst, ist es nicht getan. Auch die Analyse der konkreten  Kampagnenfehler oder der plumpe Versuch, sich schnell die Stimme des Volkes zu eigen zu machen, hilft nicht weiter. Eine zukunftsgerichtete Politik müsste stattdessen vielmehr die Schweiz auf die anstehende – auch kulturelle – Herausforderung vorbereiten.

Die global denkende und agierende Schweiz kollidiert immer öfter mit derjenigen, die sich an der traditionellen, historisch  gewachsenen Schweiz orientiert. Jene, für die die Schweiz vorab ein kleiner Standort inmitten der Welt ist, stehen unversöhnlich denen gegenüber, die die fortschreitende Globalisierung als eine Entwicklung empfinden, die die traditionellen Werte der Schweiz untergräbt.  In Zukunft stehen mehrere Abstimmungen an, die diese Bruchlinie noch offensichtlicher machen werden. Niemand kann den Kampf um diese zwei Schweizbilder wirklich gewinnen. Dies sollte zur entscheidenden Erkenntnis der Politik werden. Ziel müsste es sein, die beiden Bilder in einem dynamischen Sinn fruchtbar für die Zukunft zu vereinen.

Ob Minarett-Initiative oder Minder-Initiative, die Signale sind jeweils klar, die Unmutsäusserungen offensichtlich, die reale Wirkung auf die künftige Entwicklung ist jedoch oft diffus bis vernachlässigbar. Das Schiff Schweiz schwimmt auf dem Welt-Ozean. Es steht nicht still – das kann es gar nicht.  Die Schweiz internationalisiert sich täglich, die Vernetzung wird permanent grösser. Das Gegenbild, die heimelige Schweiz, in der man sich kennt und sich von äusseren Einflüssen abschirmt, wird umso mehr hochgehalten und verklärt. Man träumt davon und stimmt entsprechend ab. Die Erde aber dreht sich weiter, und die Globalisierung schreitet voran.

Hier kommt das Versagen der hiesigen Politik ins Spiel. Ob links oder rechts, die grosse Mehrheit der Politiker beklagt zurzeit,  dem Zeitgeist folgend, quasi die Globalisierung im Grundsatz. Was fehlt, ist eine Analyse dessen, was wirklich vorgeht im Land (und vor allem auch ausserhalb)  und eine Idee, wie sich das in eine sinnhafte eigene Zukunft einschleusen lässt. Bundesrat und Parteispitzen müssten eigentlich dazu in der Lage sein. Doch die Analyse findet nicht statt. Es ist unklar, ob es ein Nicht-Können oder ein Nicht-Wollen ist. Es bräuchte die Fähigkeit, ein Bild der Schweiz heute und vor allem auch  in Zukunft im Kopf zu haben und dementsprechend politisch zu handeln und zu kommunizieren.

Wer die Schweiz in eine Zukunft projizierte, wie sie sein kann und realistischerweise auch sein wird, wäre der politische Star von heute. Im Gegensatz dazu ist die offensichtliche Sprachlosigkeit der hiesigen Politik, ein realistisches, positives Bild einer zukünftigen Schweiz in einer globalen Welt zu zeichnen,  beklemmend.