Die Strukturveränderungen im in- und ausländischen Kraftwerkspark sowie der wachsende internationale Handel machen bedeutende Investitionen in das Stromübertragungsnetz notwendig. Die bisher zögerliche Liberalisierung und Privatisierung im Schweizer Strommarkt entpuppt sich nun als Hindernis für weitere Finanzierungen. Bereits 2007 hat Avenir Suisse in einem Diskussionspapier auf diese Problematik hingewiesen.

Das Übertragungsnetz im Strommarkt ist so etwas wie der Marktplatz für den Stromaustausch. Für einen funktionierenden Wettbewerb ist deshalb die Unabhängigkeit des Netzbetreibers von Produzenten- und Händlerinteressen besonders wichtig. Vertikal integrierte Unternehmen (in denen das Übertragungsnetz, Kraftwerke und Stromhandel kombiniert werden) haben in der Praxis diverse Möglichkeiten, den Markt zu ihren Gunsten zu verzerren. Daher sieht auch das Stromversorgungsgesetz (StromVG) Regelungen für die Unabhängigkeit der Netzgesellschaft vor.

Teuer erkaufte Versorgungssicherheit

Die Schweizerische Netzgesellschaft Swissgrid ist rechtlich und organisatorisch von Produzenten bzw. Händlern und Versorgern getrennt. Diese Entflechtung ist jedoch wenig strikt. Im Gegensatz zu Ländern wie Grossbritannien – welche die Liberalisierung sehr konsequent umsetzten – erlaubt die Schweiz, dass Produzenten und Händler weiterhin Eigentümer der rechtlich verselbständigten Netzgesellschaft bleiben können.

Unnötigerweise geht der Gesetzgeber in der Schweiz sogar so weit, dass er solche Verflechtungen explizit vorschreibt. So verlangt das StromVG, dass die Mehrheit des Eigentums am Stromnetz direkt oder indirekt in den Händen von Gemeinden und Kantonen liegen muss. Damit bleiben die Verbundunternehmen und die Kantone – die ihrerseits die wichtigsten Eigner von Verbundunternehmen und Kraftwerken sind – Mehrheitseigner von Swissgrid (vgl. Abb.). Darüber hinaus besteht ein Kotierungsverbot, das den Kreis zusätzlicher Aktionäre weiter einengt. Was im politischen Prozess als Massnahme zur Versorgungssicherheit verkauft wurde, könnte sich nachträglich als besonders kontraproduktiv herausstellen.

Verbundunternehmen und Kantone als zurückhaltende Investoren

Die im StromVG geförderte Verflechtung zwischen Kantonen, Produktion, Handel und Übertragungsnetz  ist aus wettbewerblicher Sicht bedenklich. Grundsätzlich gilt, dass die Gefahr von Marktverzerrungen umso grösser ist, je weniger konsequent die Entflechtung umgesetzt wird.

Den wettbewerblichen Nachteilen stehen kaum relevante Vorteile gegenüber. Einerseits sind die potenziellen Effizienzgewinne etwa durch die Nutzung von Verbundeffekten zwischen Übertragungsnetz und Produktion gering. Anderseits schwächen die bestehenden Regelungen auch die Investitionsmöglichkeiten und letztlich die Versorgungssicherheit: Aufgrund ihrer langfristigen Natur werden die Netzinvestitionen erst mit grosser Verzögerung über die Netznutzungsgebühren von den Endkonsumenten amortisiert. Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen setzen daher einen grossen Kapitaleinsatz voraus. Zwar ist ein Unternehmen wie Swissgrid fähig, in grossem Ausmass Fremdkapital aufzunehmen, es braucht längerfristig aber auch mehr Eigenkapital.

Es stellt sich die Frage, ob die bisherigen Aktionäre Interesse haben, weiteres Kapital zur Verfügung zu stellen. Einiges deutet darauf hin, dass diese Bereitschaft begrenzt ist. Einen Hinweis dafür gibt die angedachte Regelung zur Übertragung des Netzeigentums von den Verbundunternehmen in die Netzgesellschaft, die bisher nur als Betriebsgesellschaft ohne Eigentum am Netz agierte. Gemäss einem Bericht der Handelszeitung sollen die Verbundunternehmen hierfür zu 30% mit Swissgrid-Aktien entschädigt werden. Für die restlichen 70% des Netzwertes gewähren sie ein Darlehen, das von Swissgrid innerhalb von 24 Monaten zurückbezahlt werden soll. Der Netzbetreiber muss also neues Fremdkapital aufnehmen, bevor neue Investitionen überhaupt getätigt werden. Das könnte spätere Kreditaufnahmen behindern und verteuern.

Offenbar bevorzugen die Verbundunternehmen flüssige Mittel gegenüber den relativ sicheren, aber mässig rentierenden Swissgrid-Beteiligungen. Das kann man ihnen nicht verübeln, schliesslich handelt es sich um internationale Produktions- und Handelsunternehmen und nicht um Pensionskassen. Die bisher in der Netzinfrastruktur gebundenen Finanzen können sie alternativ in anderen – potenziell attraktiveren – Stufen der Wertschöpfungskette investieren. Zwar sind auch die Versorger an einem funktionierenden Übertragungsnetz interessiert, doch kann es aus der Perspektive eines einzelnen Unternehmens interessant sein, sich als Trittbrettfahrer zu verhalten und auf zusätzliches Engagement anderer Aktionäre zu hoffen. Ähnliches gilt übrigens für die Kantone, die gemäss StromVG ihre Swissgrid-Beteiligung direkt ausbauen könnten. Aufgrund der sinkenden Auszahlungen der Schweizerischen Nationalbank dürfte ihr Interesse an einer Kapitalaufstockung vorderhand gering sein.

Verbesserte Investitionsfähigkeit

Das Dilemma könnte durch die Erweiterung des potenziellen Aktionärskreises einfach gelöst werden. Dazu müssten die einengenden gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen sowie das geltende Kotierungsverbot aufgehoben werden. Erst dann wird eine Beteiligung an Swissgrid auch für private, unabhängige Dritte interessant und vor allem in grösserem Ausmass möglich. Zu den (Finanz-)Investoren, die aufgrund ihrer Präferenzen in Bezug auf Risiko und Rendite ein besonderes Interesse an einer Swissgrid-Beteiligung haben, gehören nicht nur Pensionskassen, sondern auch andere nationale und internationale Anleger.

Private und ausländische Kapitalgeber sind für den Wettbewerb oder die Versorgungssicherheit keine Gefahr, solange sie mit ihrer Investition beim Netzbetreiber nicht Strommarkt-spezifische und strategische Interessen verfolgen. Diese Gefahr kann ausgeschlossen werden, wenn mit der Privatisierung auch eine konsequentere Entflechtung einhergeht, welche die Beteiligung von Produzenten und Händlern beschränkt. In diesem Fall stimulieren die privaten Investoren nicht nur den Wettbewerb, sondern stärken auch die Investitionsfähigkeit von Swissgrid und damit die Versorgungssicherheit.