Das Zweikammerparlament ist ein bewährtes Element des politischen Systems dieses Landes. Es bremst den gesetzgeberischen Eifer und erhöht in der Regel die Qualität der Beschlussfassung.
Systeme mit zwei gleichgestellten, voneinander unabhängigen Parlamentskammern haben jedoch eine Achillesferse: sie sind anfällig auf Blockaden. Akzentuiert zeigt sich dies gegenwärtig in den USA, in abgeschwächter Form auch bei uns. In einem politischen Umfeld, in dem Parlamentarier mit der Rating-Keule auf starre Positionen eingeschworen werden und die Öffentlichkeit Kompromissfähigkeit selten honoriert, wird die konstruktive Problemlösung immer schwieriger. Es wächst die Gefahr, dass wichtige, unbequeme Reformen, namentlich im Bereich des Gesundheitswesens und der Altersvorsorge, auf die lange Bank geschoben werden.
Aufhebung des Einigungszwangs
Ein vielversprechender Weg, die Schwachstelle des Zweikammersystems auszumerzen, führt über die direkte Demokratie. Wenn sich die beiden Kammern nicht auf einen gemeinsamen Beschluss einigen können, soll das Volk die Rolle des Schiedsrichters übernehmen. Im Rahmen eines obligatorischen Gesetzesreferendums können die Stimmbürger dabei für die National- oder die Ständeratsvariante votieren oder beide gleichermassen verwerfen. Findet eine Vorlage, wie die 11. AHV-Revision im Herbst 2010, nur in einem Rat eine Mehrheit, dann wird nur diese eine Variante der Stimmbevölkerung vorgelegt.
Durch die Aufhebung des Einigungszwangs zwischen den Parlamentskammern wird nicht nur der Blockadegefahr entgegengewirkt, es wird dadurch auch ein Wettbewerb um Lösungsansätze in Gang gesetzt. Statt sich gegenseitig zu blockieren, animieren sich die beiden Räte in einem Wettkampf um gute, mehrheitsfähige Vorschläge.
Werden dem Volk zwei unterschiedlich ausgestaltete Vorlagen vorgelegt, steigt ausserdem die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest eine davon eine Mehrheit findet und der parlamentarische Gesetzgebungsprozess nicht ein zweites Mal durchlaufen werden muss.
Ein Mittel gegen gesetzgeberischen Aktionismus
Die geteilte Beschlussfassung löst nicht, wie es auf den ersten Blick naheliegend scheint, eine Flut von Volksabstimmungen aus. Beide Räte besitzen weiterhin starke Anreize, sich zu einigen. Nur wenn sie sich einigen, können sie sich dem Risiko einer obligatorischen Volksabstimmung entziehen. Zur geteilten Beschlussfassung dürfte es folglich nur bei Vorlagen kommen, bei denen die Parteiexponenten ohnehin mit einem Referendum rechnen und damit kein unnötiges Risiko eingehandelt wird.
Ein zentrales Element der Reformidee der geteilten Beschlussfassung ist, dass sich diese auf Geschäfte beschränkt, auf die beide Räte zuvor eingetreten sind. Ein Rat allein kann sich folglich nicht autonom in einen gesetzgeberischen Aktionismus stürzen, da beide Räte den Bedarf der Legiferierung durch ihr Eintreten auf das entsprechende Geschäft anerkennen müssen. Die Eintretensfrage gewinnt damit an Wichtigkeit. Ist Eintreten beschlossen, besteht nämlich für jede der beiden Parlamanentskammern das Risiko, dass sie von der anderen mit Hilfe des arbitrierenden Volks ausmanövriert wird. Eintreten dürfte in der Folge weniger leichtfertig beschlossen werden als heute – ein durchaus nicht unerwünschter Nebeneffekt der Reformidee einer geteilten Beschlussfassung.
Michael Hermann ist der Autor des von Avenir Suisse kürzlich herausgegeben Buchs «Konkordanz in der Krise».