Es kommt nicht oft vor, dass sich die Schweiz gegen Grossmächte behaupten kann. Genau das ist ihr allerdings Ende letzten Jahres gegen die USA gelungen. Nach langwierigen Beratungen kam das Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) zum Schluss, dass die US-amerikanischen Zölle auf Schweizer Stahl und Aluminium unrechtmässig seien. Obwohl der Entscheid unter Fachleuten gespannt erwartet wurde und seither hohe Wellen schlägt, blieb der Sieg Berns hierzulande grösstenteils unkommentiert. Dies ist zumindest teilweise der Tatsache geschuldet, dass das Urteil letztlich kaum etwas an der Ausgangslage ändern dürfte. Der Grund: Die Legitimation und damit Durchsetzungsfähigkeit der WTO steckt seit Jahren in einer Krise.

Die Schweiz als Kollateralschaden des Handelskrieges

Doch zurück zum Anfang: Die USA erhebt seit vier Jahren Zölle von 25% auf Stahl und 10% auf Aluminium, bis 2018 konnten diese Produkte im Rahmen der WTO-Regeln noch zollfrei eingeführt werden. Ziel der amerikanischen Zölle war aber nicht die Schweiz, vielmehr ging es Washington darum, die heimische Industrie vor chinesischen Stahlprodukten zu schützen. Der Vorwurf lautete, dass China dank billigen Arbeitskräften und dem Missachten von geistigem Eigentum den Markt überflute und den eigenen Unternehmen damit einen unfairen Vorteil gegenüber der amerikanischen Konkurrenz gewähre. Dass die Zölle nicht nur gegen China erhoben wurden, sondern alle Handelspartner betrafen, begründeten die USA damit, dass die Metalle sonst auf Umwegen auf den amerikanischen Markt gelangen könnten. Die Schweiz wurde gewissermassen zum Kollateralschaden im Konflikt zwischen den beiden Grossmächten.

Was bedeutet es für die Schweiz, wenn die USA ihre Stahl- und Aluminiumindustrie essenziell für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit erklären? (Unsplash)

Die USA stellen sich auf den Standpunkt, dass ihre Zölle WTO-konform seien. Konkret beziehen sie sich auf eine Ausnahmeregelung [1], der zufolge Staaten zolltarifliche Massnahmen treffen dürfen, die dem Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen dienen. Ihrer Auffassung nach ist die Aufrechterhaltung der heimischen Stahl- und Aluminiumindustrie essenziell für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit. Es dürfe daher nicht sein, dass amerikanische Produzenten durch chinesische Konkurrenten aus dem Markt geworfen würden. Viele WTO-Mitglieder, darunter auch die Schweiz, widersprachen dieser Interpretation der WTO-Regeln.

Insbesondere wurde argumentiert, dass Handelseinschränkungen nur dann eingeführt werden können, wenn die nationale Sicherheit akut bedroht werde. Dies sei vorliegend jedoch nicht der Fall, weshalb gleich mehrere Mitglieder eine Klage beim WTO-Schiedsgericht einreichten. Die EU, Mexiko und Kanada konnten eine Lösung mit den USA aushandeln – sie zogen ihre Klagen wieder zurück. Der Schweiz hingegen gelang dies nicht – trotz mehrerer Anläufe Berns, die USA ebenfalls zu einer Ausnahme zu bewegen. Sie blieb daher Klägerin, zusammen mit China, Norwegen und der Türkei.

Ein weiterer Schlag gegen die taumelnde WTO

Am 9. Dezember 2022 gab das Schiedsgericht der Schweiz schliesslich Recht. Eigentlich müssten die USA die Zölle nun fallen lassen. Doch sie akzeptieren den WTO-Entscheid nicht. Normalerweise kann eine unterliegende Partei Berufung gegen das Urteil einlegen. In diesem Fall müsste das Berufungsgericht die Fakten innerhalb von drei Monaten nochmals prüfen, doch das entsprechende WTO-Gremium ist seit 2019 nicht mehr funktionsfähig. Die Ursache dafür ist, dass nicht mehr genügend Richter (mindestens drei) durch die WTO-Mitglieder benannt werden können, um über einen Rechtsfall zu entscheiden. Die Ernennung neuer Richter wird ausgerechnet durch die USA seit Jahren blockiert. Washington begründet seine Haltung jeweils damit, dass sich die WTO nicht zu Themen wie der nationalen Sicherheit äussern dürfe, da diese nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich lägen. So hat die USA auch das jüngste Urteil der WTO dazu bereits bekämpft, obwohl sie dort selbst nicht direkt involviert war.

Ironischerweise wurde die WTO erneut dazu gezwungen, sich genau dazu zu äussern. Die Organisation konnte dabei nur verlieren: Entweder sie bestätigt die bisherige Praxis einer engen Definition der nationalen Sicherheit als Grund für Ausnahmen und entscheidet gegen die USA (was sie letztlich tat), womit sie den USA neue Munition gegen den multilateralen Ansatz liefert. Oder sie revidiert ihre Praxis und entscheidet gegen die klagenden Staaten und hätte damit deren Vertrauen in den multilateralen Ansatz verletzt.

Mit Allianzpartnern den multilateralen Ansatz retten

Keine Weiterzugsmöglichkeit und keine Umsetzung des erstinstanzlichen Urteils – die Durchsetzungskraft der WTO hing schon immer vom Vertrauen der internationalen Gemeinschaft ab. Schliesslich gab es bereits vorher, als das Streitschlichtungsverfahren noch funktionierte, keine griffigen Durchsetzungsmechanismen. Auch das Berufungsgericht konnte keinen Staat dazu zwingen, sich den Urteilen zu fügen. Vielmehr führte der Druck von anderen Mitgliedern dazu, dass die Entscheide umgesetzt wurden. Dieser Druck ist nun – wenn eine der beiden grössten Volkswirtschaften der Welt den richterlichen Entscheid ignoriert – für die übrigen Mitglieder stark gesunken. Stattdessen rücken bilaterale Lösungen vermehrt in den Fokus. Erfolge sind jedoch nicht garantiert: Denn im Gegensatz zum multilateralen Ansatz fällt die Asymmetrie zwischen den Parteien bei bilateralen Verhandlungen stärker ins Gewicht. So ist die USA der zweitgrösste Handelspartner der Schweiz – umgekehrt macht die Schweiz hingegen nur 1,5% der amerikanischen Importe und Exporte aus.

Die Schweiz sollte sich daher weiterhin um eine Reform der WTO bemühen. Dazu gehört es, den Rechtsweg zu beschreiten, um zu signalisieren, dass sie sich auch in Zukunft an die WTO-Regeln halten will. Dafür braucht unser Land starke Allianzpartner unter den WTO-Mitgliedern – nur gemeinsam ist man stark genug, um den Multilateralismus wiederzubeleben.

[1] Grundsätzlich ist die Einführung neuer Zölle bzw. die Erhöhung der vereinbarten Zollsätze im Rahmen der WTO verboten.