Umwandlungssatz und Mindestzins sind wichtige versicherungsmathematische Parameter der beruflichen Vorsorge. Von ihnen hängen die Verzinsung der Altersguthaben und die Bestimmung der Rentenhöhe beim Pensionierungszeitpunkt ab. Sie werden jedoch politisch bestimmt und weichen seit 10 Jahren von der demografischen Entwicklung und den realen Kapitalmarktverhältnissen ab (siehe Abbildung). Am bedeutendsten wirkt sich dieser Missstand beim Umwandlungssatz aus. Wird dieser Wert falsch eingeschätzt, entfalten sich die Konsequenzen über Jahrzehnte hinweg, nämlich bis der letzte Versicherte einer Kohorte ablebt. Die Folgekosten sind beträchtlich und können bis 1,5 Mrd. Franken pro Jahr betragen.
Der Umwandlungssatz hängt primär von der Lebenserwartung beim Pensionierungszeitpunkt und von der erwarteten Durchschnittsrendite am Kapitalmarkt – dem technischen Zins – ab, zwei Grössen ausserhalb des Einflussbereiches der Politik. Es ist deshalb absurd, die Anpassung des Umwandlungssatzes im Gesetz verankern oder dem Volk vorlegen zu wollen. Die Politik kann nicht Gott spielen und über Leben und Tod entscheiden Entsprechend kann sie auch nicht die Lebenserwartung oder die Kapitalmarktrendite per Dekret festlegen.
Sinnvoller wäre es, die Festlegung des aktuariell korrekten Umwandlungssatzes der Empfehlung von Fachexperten, zum Beispiel aus der eidgenössischen BVG-Kommission, zu überlassen und durch den Bundesrat per Verordnung regelmässig anzupassen. Die Festlegung des Umwandlungssatzes durch den Bundesrat – analog zur aktuellen Definition des Mindestzinses – reduziert zwar die Politisierung dieser Parameter, aber auch sie schliesst politischen Opportunismus nicht ganz aus.
Ein weiterer, viel versprechender Ansatz ist deshalb die Delegation des Umwandlungs- und Mindestzinsentscheids an den Stiftungsrat der einzelnen Vorsorgeeinrichtungen, wie dies in Liechtenstein der Fall ist. Der Stiftungsrat einer Vorsorgeeinrichtung zeichnet sich durch mehr Nähe zu den Bedürfnissen der Versicherten aus und kann die aktuelle und künftige finanzielle Situation der Pensionskasse besser einschätzen. Er kann auch spezifisch die Invaliditäts- und Mortalitätstafeln seines Bestandes ermitteln und daraus nachhaltige Renten für seine Versicherten ableiten.
Bis zu einem gewissen Grad machen die Vorsorgeeinrichtungen bereits von dieser dezentralen Entscheidungskompetenz Gebrauch. Die Stiftungsorgane dürfen Leistungen versprechen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen. Sie dürfen höhere Mindestzinsen auf den Altersguthaben und höhere Umwandlungssätze für die Rentenbestimmung verwenden. Offensichtlich traut ihnen der Gesetzgeber zu, dass sie mit solchen Zusatzleistungen die finanzielle Situation der Vorsorgeeinrichtungen nicht gefährden und verantwortlich mit den angesparten Vermögen der Versicherten umgehen.
Diesen Spielraum dürfen sie jedoch bei negativen Entwicklungen nicht nutzen. Stellen sie eine ungünstige Veränderung der Mortalität und Invalidität ihrer Versicherten fest, können sie daraus nicht eine Senkung des Umwandlungssatzes ableiten. Ebenso wenig kann eine Kasse mit drohender Unterdeckung Sanierungsmassnahmen vorbeugen, indem sie temporär den Mindestzins tiefer ansetzt. Ausserdem passen manche Vorsorgeeinrichtungen ihre technischen Parameter den aktuellen Marktbedingungen und Lebenserwartungen nur langsam an, um weiterhin überobligatorische Leistungen anbieten zu können, mit denen sie sich am Markt einen Vorteil verschaffen wollen.
Eine Delegation der Entscheidungskompetenz über die technischen Parameter an den Stiftungsrat würde diese gesetzliche Asymmetrie abschaffen, den Drang, schwer finanzierbare Leistungen anzubieten, reduzieren und den Vorsorgeeinrichtungen ermöglichen, bei positiven wie negativen Entwicklungen ihrer Versichertenbestände und der daraus resultierenden finanziellen Situationen flexibel und proaktiv zu handeln.
Dabei ist ein «Race-to-the-bottom», um die Mindestzinsen und Umwandlungssätze so tief wie möglich zu halten, wenig wahrscheinlich. Marktkonforme Verzinsung der Vorsorgevermögen und attraktive Altersrenten sind wichtige Rekrutierungsargumente für Unternehmen mit autonomen Pensionskassen, die sie kaum aufs Spiel setzen wollen. Und Sammelstiftungen stehen seit je in Konkurrenz zueinander und sind deshalb bestrebt, wettbewerbstaugliche Leistungen anzubieten.
Weitere Artikel aus dieser Reihe:
- Die Altersvorsorge muss sich der Gesellschaft anpassen
- Mehr Spielraum bei der Wahl der Anlagestrategie in der Berufsvorsorge
- Die Vorsorge an den Mitarbeiter statt an den Arbeitsplatz koppeln
- Grösserer finanzieller Spielraum dank flexiblerem Vorsorgesparen
Mehr Informationen zum Thema finden Sie in dem soeben bei NZZ Libro erschienenen Buch «Verjüngungskur für die Altersvorsorge».