Die Reformvorlage der Finanzierung von Vorsorgeeinrichtungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften wurde im Dezember 2010 stark verwässert, nicht zuletzt, so wird häufig behauptet, um die Sanierungslast in der Westschweiz zu reduzieren. Als Romand darf man sich deshalb fragen, ob die finanzielle Situation der öffentlich-rechtlichen Pensionskassen wirklich einem Muster entlang des Röstigrabens folgt oder ob solche Aussagen das Ergebnis einer verzerrten Wahrnehmung aufgrund der desolaten Situation der Pensionskassen in den Kantonen Genf und Waadt sind.

Eklatante regionale Unterschiede

Um diese Frage zu beantworten, wurde der Deckungsgrad der 26 kantonalen Pensionskassen per Ende 2010 verglichen. Die Abbildung zeigt ein klares Gefälle von Ost nach West. In der lateinischen Schweiz (FR, GE, JU, NE, VD, VS und TI) beträgt der Deckungsgrad im Schnitt 66%. Er ist damit um satte 30 Prozentpunkte tiefer als in den restlichen Kantonen. Den tiefsten Wert weist der Kanton Genf mit 56% auf, den besten der Romandie findet man in Fribourg (79%). Am anderen Ende des Spektrums zeichnen sich die Kantone Appenzell (AR und AI), Glarus und Obwald mit Deckungsgraden von über 100% aus. Die fehlenden Mittel für eine Vollkapitalisierung der Kassen in Unterdeckung belaufen sich schweizweit auf 15,6 Mrd. Fr. 60% dieses Betrags (9,1 Mrd. Fr.) fallen in der lateinischen Schweiz an – bei nur 30% der Bevölkerung.

Deckungsgrade kantonaler Pensionskassen

Der Vergleich von Deckungsgraden birgt zwei Risiken. Erstens handelt es sich um eine statische Grösse, die die Entwicklung der finanziellen Situation nicht wiedergibt. Diese hängt jedoch stark von der Altersstruktur (das Verhältnis von Aktiven zu Pensionierten) und vom Primat der Pensionskassen ab. Bei schwachen Marktrenditen sind Pensionskassen mit Leistungsprimat und mit nach Dienstalter steigenden Löhnen –wie sie häufig in der Verwaltung vorkommen – stärker dem Risiko eines schlechteren Deckungsgrads ausgesetzt. Interessanterweise operieren alle Pensionskassen in der Romandie im Leistungsprimat, während 80% der Kassen in der Deutschschweiz bereits zum Beitragsprimat übergangen sind. Zweitens hängt der ausgewiesene Deckungsgrad stark von frei wählbaren Parametern, wie dem technischen Zins ab. So «verbessert» ein um 1% zu hoch geschätzter technischer Zins den Deckungsgrad um ca. 10 Prozentpunkte. Auch in dieser Hinsicht sind die Unterschiede zwischen den Regionen signifikant. Der durchschnittliche technische Zins in der lateinischen Schweiz beläuft sich auf 4,1% gegenüber 3,7% in der Deutschschweiz. Den Maximalwert von 4,5% weist die CIA in Genf aus. Die Aussichten westlich der Sarine sind deshalb noch viel düsterer als bisher angenommen.

Differenzen reflektieren politische Entscheide

Wie lassen sich diese Unterschiede erklären? Die Antwort klingt fast banal: Mit der Politik. Alle kantonalen Pensionskassen sind dem Bundesgesetz der beruflichen Vorsorge (BVG) unterworfen. Ihre Einnahmen, primär die Höhe der Lohnbeiträge, und ihre Ausgaben, z.B. die Höhe der Renten oder die Möglichkeiten zur Frühpensionierung, sind jedoch im Pensionskassenreglement und manchmal auch in kantonalen Gesetzen festgelegt. Es sind also lokale politische Entscheide, die das Gleichgewicht zwischen Ein- und Ausgaben bestimmen.

Sind die lateinischen Kantone also weniger in der Lage, Sanierungsmassnahmen zu finanzieren und damit diese Notsituation zu korrigieren? Die Antwort lautet nein. Genf und Waadt leisten aufgrund ihrer Finanzkraft positive Beiträge im interkantonalen Finanzausgleich. Es ist auch schwer einzusehen, worin sich die finanzielle Kraft des Wallis von der Graubündens unterscheiden soll. Der Entscheid, Finanzmittel zu erheben– via Steuern oder Schulden – oder Budgetkürzungen vorzunehmen, um eine Pensionskassensanierung zu ermöglichen, ist überall eindeutig politisch begründet.

Die tiefen Deckungsgrade in der lateinischen Schweiz reflektieren deshalb anderslautende politische Prioritäten. Es ist in der Romandie schwieriger, das Thema «Vorsorge der Verwaltung» anzugehen. Die Gewerkschaften der öffentlichen Hand sind stark, und Streikdrohungen von Staatsangestellten gibt es am Genfersee häufiger als in der übrigen Schweiz. Regierungsräte können kaum auf eine Wiederwahl hoffen, wenn sie zu offensiv gegen ihre eigene Verwaltung vorgehen. Ein Vergleich der Berichterstattung in den Printmedien zeigt zusätzlich, dass die Debatte um die Sanierung kantonaler Pensionskassen im Kanton Zürich, Bern oder Basel so virulent wie in der Romandie geführt wird. Auch das spiegelt politische Präferenzen.

Die Politik kann also diese Situation ändern. Die Bürger in der lateinischen Schweiz müssen realisieren, dass sie die desolate Situation ihrer kantonalen Pensionskassen nicht mit dem Privatsektor vergleichen müssen, sondern mit deren Pendants der öffentlichen Hand in der Ostschweiz. Sie müssen ihre Vertreter dazu bewegen, und deren Rücken dahingehend stärken, dass das Ausmass dieses Problems anerkannt und dementsprechend behandelt wird. Klar ist es für einen Politiker weniger attraktiv, sich für die Sanierung der Beamtenkasse statt für den Ausbau einer S-Bahn oder den Bau eines Stadiums zu engagieren. Dennoch ist es unverantwortlich, diese schwierige, aber notwendige Aufräumarbeit unseren Kindern zu überlassen.

Heute erschien zu diesem Thema auch in «Le Temps» ein Beitrag von Emmanuel Garessus mit dem Titel «Le Röstigraben existe dans les caisses de pension».