Für den Besucher aus der Deutschschweiz ist das «Maison de la Paix» in Genf, in dem Hörsäale und Seminarräume des «Institut des Hautes Etudes Internationales et du Dévelopment» untergebracht sind, in doppelter Hinsicht eindrücklich. Zum einen stechen die kühle Eleganz und die Grosszügigkeit des Gebäudekomplexes ins Auge. Zum andern überrascht die Benennung einzelner Gebäudeteile mit Namen von lebenden Persönlichkeiten aus der Finanzwelt. In hiesigen Kreisen würde man wohl sofort eine Unterwanderung der Forschungsfreiheit durch den kapitalistischen Geist argwöhnen. Erfreulicherweise scheint man diesbezüglich im calvinistischen Genf weniger Berührungsängste zu haben als im zwinglianischen Zürich.

Gefährdete wissenschaftliche Unabhängigkeit?

Man erinnert sich in diesem Zusammenhang unweigerlich an den «Zürcher Appell», der rund 30 vorwiegend emeritierte Professoren der Philosophie, des Rechts, der Geschichte und der Theologie vereinte, und der vor Jahresfrist lautstark den Sponsoring-Vertrag zwischen der Universität Zürich und der UBS wegen angeblicher Gefährdung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit kritisierte. Eine ähnliche Unmutsbekundung gab es, als das Mitspracherecht von Nestlé bei zwei gesponserten Lehrstühlen an der ETH Lausanne bekannt wurde. Als die Universität Zürich schliesslich den Kooperationsvertrag mit der UBS veröffentlichte, erwies sich die ganze Aufregung als ein Sturm im Wasserglas.

Die Kritiker von Hochschulsponsoring sehen die Universität nach Humboldtscher Tradition als einen Ort der reinen Wissenschaft, der nicht durch externe (Ziel-)Vorgaben beeinflusst werden dürfe. Sie sei ein unantastbarer Ort des freien Denkens, Forschens und Lehrens und als solcher für eine offene Gesellschaft unabdingbar. Die Unabhängigkeit und die Glaubwürdigkeit der Universitäten stünden bei einer Zunahme der privaten Forschungsfinanzierung auf dem Spiel. Als inakzeptabel scheint in dieser Logik die Vorgabe spezifischer Lehr- und Forschungszwecke.

Nationale Forschungsprogramme als Fremdkörper

Warum aber haben sich dieselben Stimmen nicht auch zu Wort gemeldet, als der Schweizerische Nationalfonds im Auftrag des Bundesrates die beiden Nationalen Forschungsprogramme (NFP) rund um die Umsetzung der Energiestrategie 2050 im Umfang von 45 Mio. Fr. startete? Offenbar ist es etwas anderes, wenn der Staat bzw. die Verwaltung der Wissenschaft detaillierte Vorgaben machen.

Während es im NFP 70 ausschliesslich um technische Probleme bei der Realisierung der Energiewende geht, verfolgt das NFP 71 eigentliche gesellschaftspolitische Ziele. Analysiert werden soll nicht nur die politische Einstellung der Bevölkerung, sondern auch, wie bestimmte Zielgruppen zum Energiesparen animiert werden können, und wie es um die Akzeptanz einer alternativen Stromversorgung steht.

Es scheint, dass hier PR-Arbeit und Politikanalyse mit wissenschaftlicher Forschung verwechselt werden. Nicht nur leidet darunter die Unabhängigkeit der Forschung, sondern letztlich auch die Glaubwürdigkeit des Schweizerischen Nationalfonds. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die gesellschaftsorientierten NFP – neben der Ressortforschung des Bundes – ein Fremdkörper in der schweizerischen Forschungspolitik sind, so wurde er hiermit erbracht.

Universitäten müssen ihre Autonomie selber schützen

Man kann darüber diskutieren, ob es staatspolitisch klug ist, zwei NFP zu lancieren, noch bevor die «Energiewende 2050» vom Gesetzgeber beschlossen ist. Unbestritten ist jedoch, dass Forschung und Wissenschaft mit den detaillierten bundesrätlichen Vorgaben in hohem Masse instrumentalisiert werden. Dem «Zürcher Appell» und den anderen Hohepriestern der reinen Universität müssten eigentlich die Haare zu Berge stehen. Doch diesmal blieben sie stumm. Es zeigt sich einmal mehr, dass die grösste Gefahr für die Forschungsfreiheit nicht vom Universitätssponsoring oder von der Forschungszusammenarbeit mit Unternehmen ausgeht, sondern vom Staat.

Es führt nicht weiter, Universitäten nostalgisch zu verklären. Es braucht auch keine gesamtschweizerischen Gesetze für Sponsoring und private Forschungsgelder, wenn die Hochschulautonomie Sinn machen soll. Jede Universität muss selbst in der Lage sein, mit den Erwartungen von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft fertig zu werden und sich Regeln zu geben, die ihrer Freiheit und Glaubwürdigkeit gerecht werden. Die Autonomie kann nicht von denjenigen geschützt werden, die selber den grössten Druck auf die Forschung ausüben. Dass dies möglich ist, zeigen private amerikanische Spitzenuniversitäten, die zu den leistungsfähigsten Forschungseinrichtungen der Welt gehören.