Die anhaltend tiefen Strompreise im europäischen Strommarkt sind nicht nur auf Wirtschaftskrise, Kraftwerksüberkapazitäten und tiefe Preise für fossile Energien zurückzuführen, sondern auch auf die europäische Klimapolitik. In dieser hat eine eigentliche Gewichtsverschiebung stattgefunden: Während der CO2-Zertifikatehandel an Relevanz verloren hat, werden die Strommärkte immer mehr durch die Subventionierung erneuerbarer Energien beeinflusst. Für die Schweizer Wasserkraft sind das schlechte Nachrichten. Schliesslich ist sie als CO2-freie Technologie mit tiefen Betriebskosten «Preisnehmerin» am Markt. Weil üblicherweise Gas- oder Kohlekraftwerke die Preise bestimmen, hätte sie von höheren CO2-Preisen profitieren können. Jetzt aber sinkt die Ertragskraft des bestehenden Kraftwerksparks, und praktisch alle Ausbauprojekte für Grosswasserkraftwerke sind unwirtschaftlich. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wurde aber durch das Bundesamt für Energie in einer im Dezember veröffentlichten Studie zur Grosswasserkraft quasi offiziell bestätigt.

Die EU-Klimapolitik hilft der Schweizer Wasserkraft auch in Zukunft nicht | Avenir Suisse

Hoffen auf eine neue EU-Klimapolitik

Umso mehr hoffen Schweizer Wasserkraftbetreiber auf eine Neuausrichtung der EU-Klimapolitik. Zumindest ansatzweise hat die EU-Kommission ihre Energie- und Klimastrategie für die Periode nach 2020 bereits kommuniziert.

  • Kernstück dieser Politik soll ein verbindliches Treibhausgas-Reduktionsziel sein (bis 2030 minus 40% gegenüber 1990).
  • Auch will sie den CO2-Emissionshandel reformieren, damit dieser wieder eine lenkende Funktion einnimmt. Mittels einer «Marktstabilitätsreserve» soll ein Über- oder Unterangebot der im Umlauf befindlichen Zertifikate korrigiert werden – was im Grunde einer Preisregulierung entspricht.
  • Parallel dazu hält die Kommission an einem Ausbauziel für Erneuerbare fest. Dieses soll aber nicht mehr verbindliche Ziele für die einzelnen Mitgliedstaaten definieren, sondern für die Gemeinschaft als Ganze.

Auf den ersten Blick sind das gute Nachrichten für die Schweizer Wasserkraft:

  • Erstens, weil die EU-Kommission an einer strikten Klimapolitik festhält.
  • Zweitens, weil der Emissionshandel aufgewertet wird.
  • Drittens, weil die direkte Förderung bzw. Subventionierung des Ausbaus Erneuerbarer an Relevanz verlieren könnte.

Erdgas statt Kohle

Ob und wie Europa den Vorschlag der Kommission umsetzen wird, ist jedoch unsicher. Ausserdem liegen bekanntlich die Herausforderungen im Detail. Für potenzielle Investoren in die Wasserkraft stellt sich die Frage, wie stark die Klimapolitik die Strompreise beeinflussen wird. Oder konkreter: Wie hoch werden die CO2-Zertifikatspreise in der Periode nach 2020 sein?

2005 lagen sie kurzzeitig noch bei etwa 30 Euro pro Tonne, derzeit nur noch bei etwas über 5 Euro. Mit der Marktstabilitätsreserve gibt sich die EU-Kommission ein Instrument zur Regulierung der CO2-Zertifikatspreise in die Hand. Sollen die Zertifikatspreise tatsächlich eine lenkende und damit relevante Funktion haben, dann müssen diese so hoch sein, dass Kohlekraftwerke vermehrt durch emissionsärmere Technologien aus dem Markt gedrängt werden.

Als günstigste Strategie zur CO2-Reduktion gilt die Substitution von Kohle durch Gas. Schliesslich produzieren Gaskraftwerke in Europa wegen der im Moment tiefen Preise kaum oder werden wegen mangelnder Auslastung gar ausser Betrieb genommen. Die CO2-Zertifikate müssten daher (mindestens) so teuer sein, dass die variablen Kosten von modernen Kohlekraftwerken über jene von Gaskraftwerken steigen. Damit «rutschen» Gaskraftwerke in der Angebotskurve (Merit Order) vor die Kohlekraftwerke. Dadurch würden sie häufiger eingesetzt – nicht nur während der Spitzen-, sondern auch in der Grundlast.

Die Simulation in der Abbildung illustriert, dass der CO2-Zertifikatspreis zu diesem Zweck ausserordentlich stark steigen müsste. Als vereinfachende Grundlage für die Berechnungen wurden die Mitte Januar 2014 relevanten Terminmarktpreise für Kohle, Gas, CO2 und Strom für das Jahr 2015 verwendet. Die Simulation zeigt, dass erst bei einem Anstieg des CO2-Zertifikatspreises auf 55 Euro pro Tonne das Kohlekraftwerk etwa gleich hohe variable Kosten aufweist wie das moderne Gaskraftwerk. Für die Wasserkraftinvestoren stellt sich die Frage, ob die CO2-Preise (und damit der Preis für Strom) ausreichend hoch wären, um neue Projekte wirtschaftlich zu machen. Im Diagramm ist daher auch die mittlere BFE-Schätzung der Durchschnittskosten von neuen bzw. ausgebauten Grosswasserkraftwerken eingefügt (14,1 Rp./kWh). Natürlich lassen sich die Durchschnittskosten von Wasserkraftwerken nur indirekt mit den variablen Kosten von fossilen Kraftwerken vergleichen. Doch könnte man unterstellen, dass mittelfristig häufig die variablen Kosten von modernen Gas- und Kohlekraftwerken die Preise für Grund- und Spitzenlast bestimmen – übrigens zeigt die Grafik, dass 2015 der Preis für die Spitzenlast durch die Kosten eines modernen Gaskraftwerks determiniert wird.

CO2-Zertifikatspreis von 55 Euro nötig

Die Simulation illustriert, dass selbst bei einem (sehr hohen) CO2-Zertifikatspreis von 55 EUR die meisten Wasserkraftprojekte kaum wirtschaftlich werden. Der Grund dafür liegt in den günstigen Preisen für Kohle und Gas. Oder anders ausgedrückt: Wasserkraftwerke sind auch im Kontext einer strikteren EU-Klimapolitik nach 2020 nur beschränkt wettbewerbsfähig gegenüber modernen Gaskraftwerken.

Wasserkraftinvestoren müssten daher auf einen deutlich höheren CO2-Preis hoffen (oder steigende Gaspreise). Das ist aus heutiger Perspektive wenig realistisch. Schliesslich ist auch die EU keine Insel. Vielmehr wird sie bei der Festlegung ihrer Energie- und Klimapolitik die internationale Wettbewerbsfähigkeit im Auge behalten.

Solange in den USA der Boom beim unkonventionellen Gas für tiefe Strompreise sorgt und gleichzeitig Kohlekraftwerke verdrängt, wird sich die EU davor hüten, ihre eigene Energie besonders teuer zu machen. Vermutlich werden sich die europäischen Politiker bei ihrer Klimapolitik auf einen etwas höheren CO2-Zertifikatspreis und etwas weniger sportliche Ziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien einigen. Der Schweizer Wasserkraft dürfte das nur wenig helfen.