Im Rahmen der Reform der Ergänzungsleistungen schlägt der Bundesrat vor, den Vorbezug des Guthabens aus der 2. Säule für die Gründung eines eigenen Unternehmens zu verbieten. Gemäss den Prognosen für 2030 können dank dieser Methode angeblich 20 Mio. Fr. eingespart werden. Im Vergleich zu den Gesamtausgaben für Ergänzungsleistungen in der Höhe von 6.9 Mrd. Fr. entspricht dies einer potenziellen Senkung um 0.3%. Eine magere Ausbeute, die überdies sehr optimistisch wirkt.

Keine fundierte Analyse

Diese potenzielle Ersparnis wurde ausschliesslich mithilfe einer Analyse jener Rentner berechnet, die Ergänzungsleistungen beantragten. Die erfolgreichen Unternehmer, die nicht auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, hat man nicht einbezogen. Auch der Wert ihrer jeweiligen Firma sowie der neu geschaffenen Arbeitsplätze wurde nicht berücksichtigt. Das Endergebnis fällt entsprechend negativ aus.

Mangels anderer Argumente erinnert der Bundesrat in seinem Reformentwurf daran, dass die Unternehmensgründung riskant sein kann und dass die Hälfte aller Unternehmen fünf Jahre nach ihrer Entstehung bereits wieder verschwunden sind. Das stimmt. Doch wie viele dieser Unternehmer haben ihre neue Firma mit dem Guthaben aus der Berufsvorsorge finanziert? Und wie viele von den Letztgenannten haben ihr Vorsorgekapital nach der Aufgabe ihrer Tätigkeit tatsächlich verloren? Auch dazu schweigt sich der Bundesrat aus.

Das ist erstaunlich, denn in einer vom Bundesamt für Sozialversicherungen in Auftrag gegebenen Studie von 2005 waren diese Fragen angeschnitten worden. Gemäss diesem Bericht hätte eines von vier Unternehmen, das heisst 2000 bis 3000 KMU pro Jahr, damals ohne das Geld aus der 2. Säule nicht gegründet werden können. Zudem stellte nur jeder zehnte Unternehmer seine Tätigkeit aus finanziellen Gründen ein und verlor dabei einen Teil des investierten Vermögens. Aufgrund der verfügbaren Daten war es aber nicht möglich, die Summe dieser Verluste zu ermessen oder festzustellen, in welchem Ausmass das BVG-Kapital davon betroffen war. Die Untersuchung betont somit die Bedeutung der Vorsorgeguthaben für unsere Wirtschaft bei gleichzeitig eher geringem Risiko. Weshalb werden diese Ergebnisse in der Botschaft des Bundesrats nicht erwähnt? Eine Unterlassungssünde?

Der Bundesrat hebt ebenfalls hervor, dass der Anteil der Rentner, die 2013 auf Ergänzungsleistungen angewiesen waren, bei den Selbständigerwerbenden höher lag (8.5%) als bei den Angestellten (5.3%). Diese Tatsache ist zwar interessant, besitzt jedoch keinerlei Aussagekraft bezüglich der Reform der Ergänzungsleistungen. Auch hier bleibt die Frage unbeantwortet, ob der Anteil bei jenen Selbständigerwerbenden, die ihre 2. Säule bezogen haben, höher liegt als bei den anderen. Unter Umständen verfehlt die Beschränkung des Vorbezugs des BVG-Kapitals vollkommen ihren Zweck.

Gleichbehandlung

Die prekäre Lage vieler Selbständigerwerbenden nach der Pensionierung sollte uns allerdings aufrütteln. Für sie ist die berufliche Vorsorge nicht obligatorisch. Diese Befreiung von der Beitragspflicht widerspiegelt die wirtschaftliche Situation zu Beginn der 1980er Jahre, als die 2. Säule eingeführt wurde. Man war der Ansicht, die Unternehmer würden in ihre Firma investieren (Maschinen, Gebäude) und beim Erreichen des Pensionsalters alles wieder verkaufen. Doch angesichts der wachsenden Bedeutung des Dienstleistungssektors besteht das Vermögen eines Unternehmens heute vor allem aus seinem Humankapital. Letzteres lässt sich aber nur schlecht in Geld verwandeln, vor allem, wenn das Unternehmen fast ausschliesslich aus dem Eigentümer besteht.

Nicht an der zweiten Säule rütteln. (ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv)

Die Gefahr einer unzureichenden Absicherung im Alter bei Selbständigerwerbenden im Dienstleistungssektor muss aufmerksam beobachtet werden. Ein frühzeitiger und besserer Sozialschutz könnte sich als notwendig erweisen. Doch die Einschränkung der Möglichkeiten, das Vorsorgeguthaben vorzeitig zu beziehen, ist der falsche Ansatz. Es entsteht dabei eine Ungleichbehandlung zwischen den Unternehmern, die sich in jungen Jahren selbständig machen (und nicht in die 2. Säule einzahlen müssen), und jenen, die sich erst später für die Selbständigkeit entscheiden, wenn ihr berufliches Netzwerk und ihre fachlichen Fähigkeiten gefestigt sind.

Bei einer Einschränkung der vorzeitigen Bezugsmöglichkeiten und folglich der individuellen Gestaltung der Berufsvorsorge ist den Versicherten weniger bewusst, dass das BVG-Guthaben ihnen und nicht der Pensionskasse oder dem Staat gehört. Zudem löst diese Massnahme eine falsche Debatte über die Gründe aus, welche die Ergänzungsleistungen explodieren lassen, und verhindert eine notwendige Grundsatzdiskussion rund um die Sanierung dieser Sozialversicherung.

Dieser Text ist in der Ausgabe 3/17 der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.