Unsere neueste Publikation «Mythen und Mieten: Acht Thesen zum Schweizer Wohnungsmarkt auf den Prüfstand» hat ein bemerkenswertes Echo in den Medien hervorgerufen und zahlreiche Kommentare sowie Zuschriften generiert. Die Bandbreite der Reaktionen ist vielfältig und bewegt sich zwischen «akribisch recherchiert» und «an Fakten mangelt es». Die Resonanz wächst stetig. Auch wenn es uns nicht möglich ist, auf jede einzelne Anmerkung zu reagieren, erläutern wir in diesem Blog einige Aspekte näher.
Die natürliche Leerwohnungsziffer
Die «natürliche» Leerwohnungsziffer markiert die Grenze zwischen allgemein steigenden und fallenden Mieten. Wird die natürliche Leewohnungsziffer unterschritten, ist mit einer realen Verteuerung der Wohnkosten für die Mieterhaushalte zu rechnen. Während unsere Studie bereits im Druck war, veröffentlichte die Immobilienberatungsfirma Wüst Partner eine eigene Einschätzung der natürlichen Leerwohnungsziffer. Mit einem Wert von 1,27% liegt diese über unserem ermittelten Wert von 1,1%. Dieser Unterschied lässt sich durch den unterschiedlichen Datenzeitraum (Wüst Partner berücksichtigt Daten ab 1980, unsere Analyse beginnt 1970) und geringfügige Modellanpassungen erklären. Diese Differenz bewegt sich im Rahmen des Konfidenzintervalls unserer Schätzung.
Ein Fakt bleibt jedoch bestehen: Selbst wenn die Leerstandsquote für 2023 etwas unter der natürlichen Leerwohnungsziffer liegen sollte (offizielle Daten werden in der kommenden Woche erwartet), wäre die Lage auf dem Schweizer Wohnungsmarkt weder besonders noch dramatisch. In den 1980er Jahren stagnierten die Leerstände beispielsweise über längere Zeiträume hinweg bei etwa 0,5 Prozent.
Die Wohnausgaben der Haushalte
Der Begriff der «Erschwinglichkeit von Wohnraum» – aber keineswegs der einzige, wie in der Studie dargelegt – wird wohl am häufigsten auf die Wohnkosten im Verhältnis zum Einkommen bezogen. Schon vor einem Jahrhundert, als systematische Erfassungen der Konsumentenpreise ihren Anfang nahmen, verwendeten Haushalte einen vergleichbaren Einkommensanteil für Wohnzwecke. Mit «vergleichbar» meinen wir natürlich nicht «identisch». Über die Jahrzehnte hinweg variierte dieser Anteil merklich (wie beispielsweise in den vorliegenden Statistiken ersichtlich ist).
Für Ökonomen, die im Gegensatz zu Physikern nicht mit festen Naturkonstanten arbeiten, ist die relative Beständigkeit der Wohnkosten im Verhältnis zum Einkommen bemerkenswert – insbesondere angesichts des beträchtlichen Bevölkerungs- und Einkommenswachstums, das häufig als Treiber steigender Mieten angeführt wird. Es ist umso erstaunlicher, dass dieser Wohnkostenanteil am Gesamteinkommen sowohl zeitlich als auch geografisch konstant bleibt. Dies bedeutet, dass beispielsweise Haushalte im Kanton Zürich im Durchschnitt denselben Prozentsatz ihres Bruttoeinkommens für Wohnzwecke aufwenden wie jene in der Ostschweiz oder im landesweiten Durchschnitt.
Einige Kritiker meinen, eine entscheidende Lücke in unserer Argumentation identifiziert zu haben, da wir in einer Grafik die Wohnkosten aller Haushalte, nicht ausschliesslich der Mieterhaushalte, darstellen. Es ist jedoch anzumerken, dass eine solche Aufgliederung erst seit 2006 vorhanden ist – ein relativ kurzer Zeitraum, um langfristige Entwicklungen zu beurteilen. Hinzu kommt, dass die Mietbelastung der Haushalte lediglich von 20,3 auf 21,3 Prozent angestiegen ist. Wer daraus eine massive Krise der «Erschwinglichkeit» ableiten will, wird überall eine Wohnungsnot sehen und hält das Wohnen sowieso für unbezahlbar.
Dabei wird zusätzlich übersehen, dass trotz der im Grossen und Ganzen stabilen Miet- und Wohnkostenanteile in den vergangenen Jahrzehnten eine bemerkenswerte Ausweitung des Wohnkonsums erfolgt ist. So hat die pro Kopf verfügbare Wohnfläche deutlich zugenommen: von 34 Quadratmetern pro Person im Jahr 1980 auf 46 im Jahr 2021.
Die Frage der Dichte
Die Vertreter von Wohnbaugenossenschaften sehen in dem begrenzten Wohnflächenkonsum eine zentrale Tugend ihrer Eigentumsform: die Nachhaltigkeit, welche sich durch einen haushälterischen Umgang mit der knappen Ressource Boden manifestiert. Unsere Studie hinterfragt diese Annahme. Laut unserer Analyse übersteigt die bauliche Dichte (bemessen an der durchschnittlichen Ausnützungsziffer) der Wohnliegenschaften von marktorientierten Investoren in fast allen Kreise Zürichs diejenige der gemeinnützigen Eigentümer – in einigen sogar signifikant. Das nicht ausgenützte Potenzial ist derart gross, dass der oben erwähnte sparsame Bodenverbrauch doch nicht so sparsam ist. Denn bezogen auf die Grundstücksfläche – nicht nur auf die Wohnfläche – ist in der Stadt Zürich der Flächenverbrauch pro Person in Baugenossenschaften lediglich 3 Prozent geringer als bei privaten Eigentümern.
Alles falsch, antworten die die Genossenschaftsvertreter. Der Landverbrauch pro Kopf in Ersatzneubauten liege deutlich tiefer als bei marktorientierten Investoren, heisst es. Nur: Unsere Auswertungen betreffen den Bestand, nicht der Neubau. Die Ersatzneubauten bilden aber nur die Veränderung des Gebäudebestandes ab. Ein hoher Verdichtungsgrad könnte auch einen grösseren Nachholbedarf in einem spezifischen Segment signalisieren. Unser Befund dürfte zumindest einigen Vertretern der Wohnbaugenossenschaft nicht absurd vorkommen: Sie weisen selbst auf die Tatsache hin, dass viele Genossenschaftssiedlungen ein hohes Verdichtungspotenzial aufweisen.
Argumente, die keine sind
Zum Abschluss eine altbekannte Kritik: die mutmasslich bösen Absichten der Autoren. Die Tatsache, dass einzelne Immobilienunternehmen zu den Unterstützern von Avenir Suisse zählen, wird von gewissen als Beweis dafür genommen, dass unsere Argumente notwendigerweise falsch sein müssen. Unsere Thesen stehen zur Diskussion und dürfen natürlich auch widerlegt werden. Doch bitte auf Basis von Fakten und Evidenz, nicht von vermeintlichen Absichten.
Die Publikation «Mythen und Mieten» kann hier als PDF heruntergeladen werden.