Die Anhänger von generellen Arbeitszeitverkürzungen argumentieren gerne, dass die individuelle Leistungsfähigkeit mit fortschreitender Arbeitsdauer sinkt. Das ist gewiss richtig, letztlich aber nahezu banal: Jedermann ist klar, dass wir in der zehnten Arbeitsstunde nicht mehr das Gleiche zu leisten vermögen wie in der fünften, auch wenn grosse individuelle Unterschiede bestehen. Und das Argument taugt vor allem nicht als Begründung für eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit, z.B. auf sechs Stunden. Spinnt man diesen Gedanken nämlich weiter, so könnte man – erstens – mit gleichem Recht für vier Stunden Arbeit oder noch weniger plädieren. Und zweitens bedeutet eine abnehmende individuelle Produktivität nicht, dass man am Ende des Tages nichts mehr leistet, sondern nur etwas weniger. Mit kürzeren Arbeitszeiten geht also Wertschöpfung verloren. Kürzere Arbeitszeiten müssen darum auch zu tieferen Löhnen führen. Diesen Ausgleich lehnen die Befürworter von Arbeitszeitverkürzungen aber meistens ab.

Der «Head-Count» fällt ins Gewicht

Die individuelle Leistungsfähigkeit ist aber nur ein Teil der Geschichte. Zu berücksichtigen ist nämlich ebenso, dass – aus Sicht der Unternehmen – ein Teil der Arbeitskosten Fixkosten sind. So fallen die Aufwände für Personaladministration und den Arbeitsplatz unabhängig von der Arbeitszeit an. Man denke aber auch an den fixen Zeitaufwand für Team- und andere Koordinationssitzungen. Ganz generell nehmen die Komplexität der Organisation und der Koordinationsaufwand mit sinkender Arbeitszeit und steigendem Teilzeitanteil zu. Aus betrieblicher Sicht führen die Fixkosten der Arbeit dazu, dass Arbeitszeitverkürzungen höhere Arbeitskosten verursachen, sogar dann, wenn der Lohn proportional zur Arbeitszeit gekürzt wird. Arbeitszeiten

Mit der Verkürzung der Arbeitszeit wirken zwei Effekte in verschiedene Richtungen: die individuell zunehmende Leistung (in der letzten gearbeiteten Stunde) und die Verteuerung der Arbeit aufgrund des Fixkosteneffekts. Die Frage, welcher Aspekt bedeutender ist, lässt sich eindeutig beantworten: Empirische Lohnanalysen zeigen weltweit und übereinstimmend, dass Teilzeitarbeit mit einer Lohneinbusse einhergeht. Hält man alle anderen lohnbestimmenden Faktoren (Ausbildung, Berufserfahrung, Betriebstreue usw.) konstant, so verdienen Halbtagsangestellte rund 5% weniger.

«Milchbüechlirechnungen» mit den Arbeitszeiten

Hinter der Forderung nach Arbeitszeitverkürzungen steht aber nicht nur die Idee von tieferen Belastungen am Arbeitsplatz und mehr persönlichem Freiraum. Oft sind sie beschäftigungspolitisch motiviert. Weil die Unternehmen – so wird angenommen – mehr Arbeitskräfte brauchen, sollen tiefere Arbeitszeiten zu Mehrbeschäftigung führen und die Arbeitslosigkeit reduzieren. In Frankreich ist diese Politik vollkommen gescheitert. Die Einführung der 35-Stunden-Woche in den 1990er-Jahren erhöhte vielmehr die Arbeitslosigkeit, unter anderem weil die Löhne nicht entsprechend reduziert wurden. Aber auch mit tieferen Löhnen erweist sich Beschäftigungspolitik per Arbeitszeitsenkung meist als untaugliche «Milchbüechlirechnung». Die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte sind weder mit der gesuchten Qualifikation noch am richtigen Ort ohne Weiteres verfügbar. Das Resultat solcher Übungen sind daher viel eher vermehrte Produktionsauslagerungen als der erhoffte Beschäftigungseffekt.

Die 30-Stunden-Woche wird in der Schweiz Tatsache

In der Schweiz liegen kürzere Arbeitszeiten angesichts des Fachkräftemangels und der Unzufriedenheit mit der hohen Zuwanderung völlig quer in der Landschaft. Vor allem aber geht vergessen, dass die Arbeitszeiten in der Schweiz seit langem und kontinuierlich sinken. Dies geschieht nicht primär über sinkende Regelarbeitszeiten, sondern individuell über tiefere Anstellungsgrade und über mehr Ferien. So ist die effektive Jahresarbeitszeit pro Erwerbstätigem seit 1991 um 164 auf 1‘480 Stunden gefallen. Seit 2004 ist bei den Schweizer Arbeitskräften sogar ein beschleunigter Rückgang der Arbeitszeit festzustellen, bei den Männern noch stärker als bei den Frauen. Der mittlere Rückgang von 2004 bis 2014 beträgt 0,8% pro Jahr. Ohne die ansässigen Ausländer und die Zuwanderer wären die effektiven Arbeitszeiten noch stärker gesunken. Umgelegt auf eine Woche arbeiteten die Schweizer 2014 noch gut 31 Stunden. Geht der Trend weiter, wogegen a priori nichts spricht, wird die 30-Stunden-Woche in wenigen Jahren Tatsache sein.