Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise, bei deren Bekämpfung der Internationalen Währungsfonds (IMF) besonders aktiv ist, beschäftigt zurzeit auch das schweizerische Parlament stark. Zwei Vorlagen stehen dabei im Fokus: der vom Bundesrat an der diesjährigen Frühjahrstagung der Bretton-Woods-Institutionen im Aussicht gestellte Rahmenkredit von 15 Mrd. Fr. und die Verlängerung zur Teilnahme der Schweiz an den Ende 2013 auslaufenden Allgemeinen Kreditvereinbarungen (AKV), die dem IMF in Ergänzung zu seinen ordentlichen Mitteln als «Notfallreserve» dienen. Das schweizerische Interesse wird dabei mit zwei Elementen begründet:
- Die Verhinderung der Ausbreitung der Staatsschuldenkreise im Euroraum auch auf Schwellen- und Entwicklungsländer und das Interesse an der systemischen Rolle des IMF für das Funktionieren des internationalen Währungssystems
- Die Vermeidung des Eindrucks, die Schweiz könnte bei einem Abseitsstehen bei der Verlängerung der AKV als «Trittbrettfahrerin» wahrgenommen werden.
Dieses zweite Argument soll im Folgenden etwas vertiefter ausgeleuchtet werden.
Als «Trittbrettfahrertum» wird in der Wirtschaftstheorie ein kollektives Handeln bezeichnet, bei dem Wirtschaftssubjekte (auch ein Staat) von einem öffentlichen Gut (hier das Funktionieren des Weltwährungssystems) Nutzen ziehen, ohne selbst eine Gegenleistung erbracht zu haben. Lässt sich dieses Konzept überhaupt auf die heutige Stellung der Schweiz im internationalen Währungssystem übertragen?
Zunächst ist daran zu erinnern, dass die Schweiz mit einem soliden Staatshaushalt und einer positiven Leistungsbilanz weder die internationalen Kapitalmärkte noch die Finanzmittel des IMF beansprucht und auch nicht für Turbulenzen an den Devisenmärkten sorgt. Im Gegenteil. Sie muss die Folgen einer ultraexpansiven Geldpolitik von grossen Ländern als Folge deren stabilitätswidriger Finanzpolitik ertragen. Selbst nach der Festlegung einer Wechselkursuntergrenze des Euro zum Franken von Fr. 1.20 bewegt sich die Schweiz auf solidem Grund. Kein geringerer als Professor Lars Svensson, weltweit anerkannter Geldtheoretiker und heutiger stellvertretender Gouverneur der schwedischen Zentralbank, sagte unlängst in Zürich, kein Land müsse sich bei Devisenmarktinterventionen, die zur Lockerung der monetären Bedingungen dienten, etwas vorhalten lassen, weil davon alle profitierten.
Das heutige Engagement der Schweiz zu Gunsten des IMF beläuft sich ohne AKV auf 20 Mrd. Fr., ohne die vom Parlament noch endgültig zu genehmigende bilaterale Kreditlinie zu Gunsten des IMF von rund 10 Mrd. Fr. Sie leistet damit gemessen an ihrer Grösse einen überproportionalen finanziellen Einsatz. In diesem Zusammenhang sei lediglich angefügt, dass sich die USA und Kanada von dieser Sonderhilfe zu Gunsten des IMF distanziert haben, ohne sich deshalb gross Gedanken zu machen. Die Schweiz müsste sich selbst bei einem Abseitsstehen von den AKV nicht Asche auf ihr Haupt schütten. In erster Linie müssten sich diejenigen Länder an der Nase nehmen, die wegen eigenen wirtschafspolitischen Fehlverhaltens immer wieder für Unsicherheiten an den internationalen Finanzmärkten Anlass geben und auf die internationale Finanz- und Währungshilfe zurückgreifen müssen.
Diese Gelegenheit hätte man aber auch zum Anlass nehmen können, die Krisenpolitik des IMF etwas genauer zu hinterfragen. Seine ursprüngliche Rolle, Zahlungsbilanzprobleme von Mitgliedländern mit schwindenen Währungsreserven zu lindern, hat sich mit der Intensivierung der globalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen und den Verschuldungskrisen der jüngsten Zeit erheblich verändert. So hat der IMF nicht nur seine Finanzierungsfazilitäten ausgeweitet und damit seine Finanzmittel massiv aufgestockt. Auch die Leistungsstrukturen sind durch ein grösseres Gewicht der Schwellenländer in den Entscheidungsprozessen verändert worden. Schliesslich wurden auch Lehren aus den jüngsten Finanzkrisen gezogen und das System der wirtschaftspolitischen Überwachung (surveillance) angepasst.
Einigen positiv zu beurteilenden Massnahmen stehen aber auch fragwürdige Aktivitäten gegenüber, weil sie das Risikoprofil des IMF erhöht und die bisherigen Standards bei der Mittelvergabe aufgeweicht haben. Dadurch schafft der IMF selbst falsche wirtschaftspolitische Fehlanreize und gefährdet möglicherweise die Erfolgsaussichten seiner eigenen Anpassungsprogramme. Die Deutsche Bundesbank hat unlängst einige sehr kritische Anmerkungen zu den jüngsten Veränderungen im IMF gemacht. So würde er zu hohe Risiken übernehmen und sich tendenziell von einem Liquiditätsmechanismus zu einem Kreditinstitut für Staatshaushalte wandeln. Dies stünde weder im Einklang mit den rechtlichen und institutionellen Vorgaben des IMF-Abkommens noch mit seinen Möglichkeiten der Risikoabsicherung. Mit seiner Bereitschaft zu immer grösseren Hilfspaketen bzw. zur Substituierung der Finanzierung durch private Kapitalgeber überfordere er sich. Das Schlagwort des Weltmonetarisierungsfonds macht nicht zu Unrecht die Runde.
Der Bundesrat hätte sich in seinen Botschaften sowohl zum Rahmenkredit als auch zur Verlängerung der AKV mit solchen Fragen durchaus etwas näher auseinandersetzen können, ohne sich selbst unter Druck zu setzen oder sich gar ein schlechtes Gewissen einzureden. Denn der IMF ist kein Ersatz für eine solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik der einzelnen Länder. Er kann seine Hilfe nur dann effizient leisten, wenn er sich darauf verlassen kann, dass die primäre Verantwortung für die Wirtschaftsentwicklung und Stabilität auch in Zukunft bei den Mitgliedsländern liegt.