Viereinhalb Millionen Erwerbstätige haben allein im November 2021 in den USA ihren Job gekündigt – ein Allzeithoch. Gleichzeitig verharrt die Erwerbsquote deutlich unter dem Niveau vor der Pandemie. Manche interpretieren diese «Great Resignation» als Vorbote einer globalen und nachhaltigen Verschiebung der persönlichen Einstellung gegenüber der Arbeit, die mit der Covid-Krise eingesetzt hätte. Doch wie haben die Lockdowns und wirtschaftlichen Einschränkungen die Arbeitsmarktmobilität in der Schweiz verändert? Fand auch hierzulande eine Kündigungswelle statt, oder bahnt sich im Zuge der wirtschaftlichen Erholung eine an? Manche Arbeitsmarktexperten rechnen durchaus damit. Sie verweisen auf die stark angestiegene Zahl der offenen Stellen – 95 000 im dritten Quartal 2021, so viele wie nie zuvor.

Blick auf die Rotationsquoten

Es gibt gute Gründe, um dies anzuzweifeln. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten oder Grossbritannien hat die Beschäftigung in der Schweiz praktisch das Niveau erreicht, das vor der Pandemie herrschte. So lag die Erwerbsquote der 15- bis 64-Jährigen im 3. Quartal 2021 0,2% unter dem Wert von Ende 2019, was einer Differenz von lediglich 10 000 Arbeitsplätzen (auf rund 5 Millionen) entspricht. Allein dies lässt die These der «Great Resignation» für die Schweiz wackeln.

Allerdings sagen diese Zahlen wenig über die Arbeitsmobilität aus. Um die jüngste Entwicklung der Stellenwechsel in der Schweiz zu untersuchen, haben wir Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) ausgewertet. Anhand der Betriebszugehörigkeitsdauer konnten wir ermitteln, wie viele Erwerbstätige jeweils mit oder ohne Erwerbsunterbruch den Arbeitgeber gewechselt haben (siehe Box zum methodischen Vorgehen).

Methodisches Vorgehen

Für die Analyse zur Entwicklung der beruflichen Mobilität wurden die Quartalsdaten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) von 2011 bis 2021 verwendet. Dabei wurde anhand der Betriebszugehörigkeitsdauer bestimmt, wie viele der Erwerbstätigen zwischen 20 und 64 Jahren, die im jeweiligen Quartal zum vierten – und letzten – Mal befragt wurden (4. Welle), seit dem vorhergehenden Befragungszeitpunkt ihren Arbeitgeber gewechselt hatten. Dies erlaubt uns, sowohl die Personen zu identifizieren, die den Arbeitgeber ohne Erwerbsunterbruch gewechselt haben, als auch jene, bei denen der Stellenwechsel mit einem freiwilligen oder unfreiwilligen Erwerbsunterbruch (Erwerbslosigkeit) von bis zu neun Monaten verbunden war. Überdies registriert die SAKE, ob der Jobwechsel innerhalb der Branchen stattgefunden hat, und ob die Person dabei auch die Berufskategorie gewechselt hat. Um die Kompatibilität mit anderen BFS-Erhebungen zu gewährleisten (etwa die quartalsweise Statistik der offenen Stellen) teilen wir die Unternehmen in 13 Branchen auf. Die Berufskategorien entsprechen der zweistelligen ISCO-Nomenklatur.

Noch keine Flucht aus dem Gastgewerbe

Die Rotationsquote unterscheidet sich je nach Branche stark: Im Gastgewerbe ist sie traditionell hoch, während in der Verwaltung die Stellenwechsel eher rar sind. Dieses Muster hat sich mit der Pandemie nicht merklich verändert. Die folgende Grafik weist die Rotationsquote nach der Branche aus, in der die stellenwechselnde Person vor dem Übertritt aktiv war. (Im Nenner dieser Quote steht der Mittelwert der Beschäftigten der jeweiligen Branche). Eine erhöhte Kündigungswelle im Gastgewerbe oder im Handel – um zwei Branchen zu nennen, die von den Lockdowns besonders getroffen wurden – zeichnet sich dabei nicht ab. Seit 2020 hat die Rotationsquote im Gastgewerbe sogar leicht abgenommen. Diese Erkenntnis gilt auch, wenn man nur das Jahr 2021 betrachtet; allerdings lässt die geringere Anzahl Beobachtungen hier keine allzu präzisen Ruckschlüsse zu.

Etwas mehr Berufswechsel als üblich

Eine hohe Rotationsquote auf Branchenebene geht nicht notwendigerweise mit einem hohen Anteil an Branchenwechseln einher. Im Gastgewerbe oder im Gesundheitssektor sind Stellenwechsel häufig, doch der neue Arbeitgeber ist meistens ebenfalls aus der gleichen Branche. Zudem äussern sich berufliche Veränderungen nicht nur in einen Branchenwechsel, sondern können – unter anderem – mit einem Berufswechsel verbunden sein. In der Erwerbsstatistik liegt ein solcher auch dann vor, wenn die Person zwar eine ähnliche Tätigkeit ausführt, aber zusätzlich eine Führungsposition annimmt.

Auch aus dieser Sicht ist die Berufsmobilität auf dem Schweizer Arbeitsmarkt eindrücklich. Jahrein jahraus sind etwas mehr als die Hälfte der Stellenwechsel mit einem Branchen- oder einem Berufswechsel verbunden. Zwischen den Jahren 2012 bis 2019 wurde in 36% der Fälle sowohl der Beruf als auch die Branche gewechselt. Die Pandemie hat wenig an diesem Bild geändert. 2021 waren die grösseren Karriereschritte (Beruf- und Branchenwechsel) etwas häufiger als üblich (41%). Insgesamt kann jedoch nicht von einer ungewöhnlichen Situation die Rede sein.

Für wen boomt der Arbeitsmarkt?

Weil Stellenwechsel häufig mit einem Branchenwechsel verbunden sind, zeichnet die Zahl der offenen Stellen in einer gegebenen Branche ein unvollkommenes Bild der Jobopportunitäten für die Erwerbstätigen dieser Branche. Wer im Finanzsektor beschäftigt ist und auf Stellensuche geht, wird möglicherweise auch Angebote aus nahegelegenen Fachgebieten in Betracht ziehen, wie etwa der Beratung oder anderen Bereichen der Unternehmensdienstleistungen. Unwahrscheinlich hingegen ist ein Wechsel in den Bausektor.

Demnach haben wir als Ergänzung zu der vom BFS veröffentlichten Statistik der offenen Stellen ein Mass entwickelt, dass diese Jobchancen zu messen versucht. Dafür wurden zuerst die Transitionen in und aus den verschiedenen Branchen für die Periode 2013 bis 2019 ermittelt. Anschliessend wurde die nach Branche ausgewiesenen Zahl der offenen Stellen während dem ersten Lockdown (2. Quartal 2020) und am aktuellen Rand (3. Quartal 2021) mit dieser Matrix gewichtet.

Die Ergebnisse finden sich in den nachfolgenden Abbildungen. Zum einen ist der breitflächige Einbruch der Arbeitsnachfrage im ersten Lockdown klar ersichtlich. Die Zahl der offenen Stellen war im 2. Quartal 2020 in sämtlichen Branchen gegenüber dem Vorjahr rückgängig, am stärksten im Gastgewerbe (-56%) sowie in den Bereichen Verkehr und Unternehmensdienstleistungen (jeweils -46%). Gemessen an den Jobopportunitäten war der Rückgang in diesen Branchen etwas geringer, dafür aber breiter verteilt. Obwohl Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und der Rückgang der Beschäftigung in den stark vom Lockdown betroffenen Bereichen stärker ausfielen, verzeichneten sämtliche Branchen einen Nachfragerückgang. Aus dieser Sicht waren die negativen Auswirkungen auf die berufliche Laufbahn weitreichender, als es die Zahl der offenen Stelle vermuten lässt.

Im dritten Quartal 2021 hatte sich aber das Blatt bereits völlig gewendet. Mit Ausnahme von drei Branchen (darunter das Gastgewerbe) lag die Zahl der offenen Stellen über den Werten von 2019; in den Bereichen Kunst, Unterhaltung und Sport sogar sehr deutlich (+57%). Gemessen an den Jobchancen war die Erholung für die Beschäftigten sämtlicher Branchen spürbar. Dass im Bereich Kunst-, Unterhaltung und sonstige Dienstleistungen deutlich mehr offene Stellen als Jobopportunitäten ausgewiesen werden, liegt am traditionell geringen Anteil von Jobwechseln innerhalb dieser Branche. (Zwischen 2013 und 2019 nahmen nur 27% der Erwerbstätigen eine Stelle im gleichen Bereich an.)

Fazit: Breit verteilte Erholung

Auch für den Arbeitsmarkt stellte die Coronakrise einen gewaltigen Schock dar. Unsere Analyse der Stellenwechsel zeigt allerdings, dass viele der Regelmässigkeiten, die vor der Pandemie beobachtet werden konnten, auch heute gelten. So finden sich in den uns bisher zu Verfügung stehenden Daten wenig Hinweise auf einen beschleunigten Strukturwandel. Dank der starken Erholung der Konjunktur liegen die offenen Stellen inzwischen leicht über dem Niveau vor der Pandemie. In der Schweiz entspricht auch der Branchenmix der ausgeschriebenen Stellen in etwa demjenigen der 2010er Jahre, so dass die Chancen, eine neue Stelle zu finden, zurzeit breit verteilt sind.