Avenir Suisse präsentierte vor kurzem neue Ideen, wie die Wettbewerbsverzerrungen des heutigen medialen Service public verringert werden könnten. Im Nachgang der Publikation wurde jedoch wiederholt in Zweifel gezogen, dass ein staatlich finanziertes und kostenloses Online-Medienangebot überhaupt den Wettbewerb verzerrt. Oder in den Worten der SRF-Direktorin Natalie Wappler in einem Interview mit der NZZ: «Wir wissen zudem aus zahlreichen Studien, dass die öffentlichrechtlichen Medien den Privaten im expandierenden Online-Markt nichts streitig machen.»

Dieses «streitig machen» bringt den technischen Begriff der Wettbewerbsverzerrung gut auf den Punkt. Es geht darum, ob und wie sehr ein öffentlich finanziertes Angebot dazu führt, dass private Angebote aus dem Markt gedrängt werden und damit die Medienvielfalt unterminiert wird. Ein solcher Effekt ist empirisch nicht einfach aufzuzeigen oder zu widerlegen. Gerade im Medienbereich ist die Forschungsbasis zum Thema Wettbewerbsverzerrung dünn. Die Datenlage ist unbefriedigend, und es gibt nur wenige (und noch weniger unabhängige) empirische Analysen.

Aus Sicht der Empirie kaum belastbare Resultate

Die meisten der wenigen empirischen Untersuchungen zum Thema sind älteren Datums. Sie beziehen sich auf eine Medienwelt, in der die Technologiegrenzen zwischen den Anbietern noch bedeutend waren. Wie wir in unserer Studie festgehalten haben, war das Potenzial für Wettbewerbsverzerrungen damals geringer. Die Zeitung am Morgen, die Radionachrichten am Mittag und die Tagesschau am Abend: Bei einem solchen komplementären Konsummuster ist der Verdrängungseffekt entsprechend vermindert.

Im Online-Bereich fallen nun diese alten Technologiegrenzen weg; die morgendlichen Newsletter des SRF, des «Tages-Anzeiger» oder der NZZ sind beispielsweise vom Konzept her kaum voneinander zu unterscheiden. Das bringt uns zu den wenigen empirischen Studien neueren Datums. Diese untersuchen teilweise explizit die Wettbewerbsverzerrung eines öffentlich finanzierten Medienangebots im Online-Bereich oder betrachten den Medienmarkt ganzheitlich im digitalen Zeitalter. Auf drei Studien wird dabei oft referenziert, wobei nur eine davon die Schweiz explizit in die Analyse miteinbezieht (vgl. Box).

Methodische Herausforderungen bei einer schwierigen Datenlage

Häufig verwiesen wird auf Fletcher & Nielsen (2017), die sich auf Umfrageergebnisse von 2015 zum Nachrichtenkonsum stützen. Sie analysieren unter anderem für sechs Länder, ob sich die Nutzung des Online-Angebots von öffentlich finanzierten Medien negativ auf die Zahlungsbereitschaft für Online-Medien im kommenden Jahr auswirkt. Basierend auf einer Regressionsanalyse ohne Kontrollvariablen finden die Autoren einen gegenteiligen Effekt, also eine positive Korrelation. Wird allerdings für gewisse sozio-demographische Merkmale, der Einstellung gegenüber Nachrichten und dem Online-Nachrichtenkonsum kontrolliert, werden die Resultate in der Hälfte der untersuchten Länder insignifikant. Es ist gut möglich, dass es weitere relevante Variablen gäbe, die in der Analyse nicht berücksichtigt wurden. Hinzu kommt, dass die Analyse statisch ist, also keine Entwicklung über die Zeit betrachtet, und die Umfragedaten nicht aus einer Zufallsstrichprobe stammen. Fletcher und Nielsen halten denn auch fest, dass weitere empirische Forschung nötig sei.

Auch Sehl, Fletcher & Picard (2020) untersuchen den Zusammenhang zwischen den Umsätzen sowie der Verbreitung des Angebots öffentlicher und privater Medien in den damals 28 EU-Mitgliedsstaaten. Dafür führen sie verschiedene Querschnittsanalysen auf Länderebene durch. Ähnlich wie Fletcher & Nielsen (2017) betrachten sie auch den Zusammenhang zwischen der Reichweite des Online-Angebots von öffentlich finanzierten Medien und dem Anteil Personen, die für private Online-Medien bezahlen. Für diesen Teil der Analyse haben sie allerdings nur nationale Daten aus 20 Ländern zur Verfügung. Bei derart wenigen Datenpunkten überrascht es nicht, dass bei der Berücksichtigung von schon nur einer Kontrollvariable (BIP pro Kopf) die Resultate statistisch insignifikant werden. Zudem weist die Datengrundlage teilweise die gleichen Probleme wie jene von Fletcher & Nielsen (2017) auf, und dynamische Effekte werden wiederum nicht berücksichtigt. Auch diese Studie muss daher mit Vorsicht interpretiert werden.

Schliesslich untersuchen Kennedy & Prat (2019) den gesamten Nachrichtenkonsum in 36 Ländern inkl. der Schweiz über alle Publikationsplattformen hinweg und beschäftigen sich mit der Frage, wie meinungsmächtig die Medien in den jeweiligen Ländern sind. Dafür werten sie Umfragedaten aus dem Jahr 2017 aus und ermitteln die 15 reichweitestärksten Medienorganisationen in jedem Land. Basierend auf diesen Daten konstruieren sie Indikatoren für den Aufmerksamkeitsanteil und die Meinungsmacht der Medien, wobei meist ein öffentlich finanzierter Fernsehveranstalter am meinungsmächtigsten ist. Sie finden unter anderem Indizien für einen Verdrängungseffekt öffentlicher Medien auf private Anbieter: In Ländern mit finanzstarken öffentlichen Medien konsumiert der durchschnittliche Medienkonsument eine geringere Anzahl an Nachrichtenquellen. Aber auch diese Studie kämpft mit den bekannten Schwierigkeiten einer unbefriedigenden Datenbasis und einer limitierten ökonometrischen Methode.

Eine der drei jüngeren empirischen Studien findet somit Hinweise auf Wettbewerbsverzerrungen, zwei nicht. Die Datenlage sowie die Methodik sind jedoch bei allen Studien problematisch, so dass die Aussagekraft der Resultate limitiert ist. Künftige Analysen werden hoffentlich bald mehr Licht ins Dunkel bringen. Solange aber die quantitative Forschung keine definitiven Schlüsse zulässt, muss bei der Beurteilung der Wettbewerbsverzerrung auf qualitative Analysen, die ökonomische Theorie sowie praktische Belege zurückgegriffen werden.

Verzerrt die SRG den Medien-Wettbewerb in der Schweiz? Schweizer Radio und Fernsehen SRF am Leutschenbach in Zürich. (Wikimedia Commons)

Aus Sicht der Theorie offensichtlich

Eine der wenigen qualitativen Untersuchungen, die sich konkret mit der wettbewerbsverzerrenden Wirkung der SRG beschäftigt, stammt von Polynomics (2016). Sie wurde vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) in Auftrag gegeben. Diese Studie beurteilt den Einfluss der SRG auf den Schweizer Medienmarkt und kommt zum Schluss, dass die SRG durchaus den Wettbewerb im Publikums- und im Werbemarkt verzerrt. Dieses Resultat überrascht nicht.

Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist nämlich klar: Wird ein mit über 1,2 Mrd. Franken öffentlich finanziertes Vollangebot in einem Markt kostenlos angeboten, kommt es zu einer Verdrängung von privaten Anbietern. Diese Verdrängung ist ein Prozess, der sich über die Zeit festigt – gerade eine solche langfristige Zeitperspektive fehlt den oben erwähnten empirischen Studien.

In der Wirtschaftspolitik ist man sich dieses Verdrängungseffekts durchaus bewusst. Das Thema der Wettbewerbsverzerrungen taucht bei fast allen Service-public-Diskussionen auf. Das ist bei den Debatten zur medialen Grundversorgung nicht anders; es wurden dazu schon Anfragen aus dem Parlament beantwortet und Berichte verfasst. Mit verschiedenen Massnahmen wird jeweils versucht, bei der Gestaltung des Service public Wettbewerbsverzerrungen zu minimieren.

So müssen bei der Grundversorgung laut Bundesrat die Preise angemessen und das Angebot eingeschränkt sein. Beim medialen Service public schränkt die Konzession für die SRG das Programm ein; bei der Unterhaltung wird etwa eine «substanzielle» Unterscheidung des SRG-Angebots von kommerziellen Angeboten gefordert. Im digitalen Raum wird diese Unterscheidung umso wichtiger, als dass hier die alten technologischen Grenzen zwischen den privaten Medien ihre Gültigkeit verloren haben – eine Herausforderung, die auch das Ausland beschäftigt (vgl. Box).

Nicht nur in der Schweiz ein Thema

Unter anderem in Deutschland oder Grossbritannien werden die Auswirkungen von öffentlich finanzierten Medien auf private Anbieter in sogenannten «Public Value Tests» unter die Lupe genommen. In Bezug auf den Online-Bereich hält zudem die Europäische Kommission fest: «Da diese Anbieter jetzt mit Rundfunkveranstaltern im Internet im Wettbewerb stehen, sind alle diese kommerziellen Mediendienstleister von den potenziellen negativen Auswirkungen betroffen, die staatliche Beihilfen zugunsten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle haben können.»Wettbewerbsverzerrungen im Online-Bereich haben im Ausland sogar bereits die Gerichte auf Trab gehalten. Erst Anfang 2022 endete in Deutschland ein langer Rechtsstreit zwischen privaten Verlegern und der ARD. Dabei hielt der Bundesgerichtshof abschliessend fest, dass die Tagesschau-App 2011 zu presseähnlich gewesen sei.

Aufschlussreiches Verhalten der SRG

Das Problem von Wettbewerbsverzerrungen komplett zu negieren, scheint also mehr als gewagt. Über den Umfang der Verdrängungseffekte kann und soll hingegen diskutiert werden. Die offensichtliche Verzerrung des Wettbewerbs zu benennen, stellt denn auch nicht die Grundversorgung in Frage – im Gegenteil. Vielmehr geht es gerade darum, den medialen Service public auch im 21. Jahrhundert optimal sicherzustellen. Dabei soll die Verdrängung privater Angebote minimiert werden, damit eine breite Medienvielfalt bewahrt werden kann.

Mit einem solchen ganzheitlichen Blick auf die Medienlandschaft ist klar, dass die Rolle der SRG im digitalen Zeitalter neu gestaltet werden sollte. In unserer Studie sprechen wir uns deshalb dafür aus, das Angebot der SRG stärker auf eine komplementäre Rolle zu den Privaten auszurichten. Ebenfalls bieten sich neue Formen der Preisgestaltung an. Denn im Online-Bereich ist die Wettbewerbssituation der SRG zu den Privaten direkter als in den alten analogen Zeiten.

Dieser neuen und direkten Konkurrenz ist man sich übrigens abseits von öffentlichen Interviews am Leutschenbach durchaus bewusst. So reagierten die Verantwortlichen bei SRF vor zwei Jahren prompt, als der Blick ein neues Angebot lancierte. Sie schalteten gezielt Werbung, um die Suchresultate im App-Store entsprechend zu beeinflussen: Wer nach «Blick» suchte, bekam zuoberst die beworbene «SRF News»-App zu sehen. Erst weiter unten kamen dann die privaten Angebote – besser kann man den Verdrängungseffekt eigentlich nicht zeigen.