Kein anderes Land gewährt kleinen Gebietskörperschaften eine derart hohe Autonomie wie die Schweiz ihren Gemeinden. Der gesellschaftliche und technologische Wandel führt jedoch zu einer wachsenden Diskrepanz zwischen funktionalen Räumen und administrativen Grenzen. Er ist verbunden mit steigenden Anforderungen von Bund und Kantonen (z.B. Umweltschutzbestimmungen, Raumplanung, Fürsoge, Vermundschaftswesen, Kinderbetreuung), aber auch seitens der Bürger (Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, Transparenz, Rechtsstaatlichkeit). Die Bedeutung der kommunalen Ebene im dreiteiligen Schweizer Staatsaufbau gerät dadurch zunehmend in Bedrängnis. 

Auf diese Herausforderungen können Gemeindezusammenschlüsse eine passende Antwort sein. Einige der immer wieder gehörten Argumente gegen solche Zusammenschlüsse halten einer genaueren Betrachtung kaum stand. Das sind die beliebtesten vier und die Entgegnungen darauf:

1.        «Einwohnerstarke Gemeinden haben höhere Verwaltungskosten pro Kopf»

Dieser rein statistische Zusammenhang ist (zumindest ab einer gewissen Gemeindegrösse) vorhanden. Es handelt sich aber um eine klassische Scheinkorrelation. Nicht die Einwohnerzahl an sich erhöht die Pro-Kopf-Kosten, sondern der Charakter, den eine Gemeinde mit vielen Einwohnern üblicherweise hat(te): Oft erfüll(t)en solche Gemeinden eine Art Zentrumsfunktion oder bieten/boten zumindest gewisse Leistungen an, die sich sehr kleine Kommunen gar nicht leisten können. Die Gegenwartsform wird hier bewusst um die Vergangenheitseitsform ergänzt, denn schon heute lässt eine Gemeindeeinwohnerzahl von über 10‘000 nicht mehr a priori auf Urbanität schliessen, wie man an den Beispielen der Gemeinden Val-de-Travers und Val-de-Ruz (beide NE) und den drei Glarner Gemeinden schnell erkennt.

Ein Zusammenschluss zweier oder mehrerer Gemeinden ändert per se nichts am Gemeindecharakter, weshalb auch höhere Verwaltungskosten nicht zu erwarten sind. 

2.       «Gemeindefusionen reduzieren die Bürgernähe»

Diesen Vorwurf entkräften zwei Argumente:

  • Die 218 seit dem Jahr 2000 durch Fusionen entstandenen Gemeinden haben im Durchschnitt (Median) knapp 2500 Einwohner. In diesen Regionen von einem Verlust an Bürgernähe zu sprechen, ist wenig angebracht.
  • Das Festhalten an historischen Gemeindestrukturen führt hingegen zu einer immer umfassenderen Auslagerung von Aufgaben an die interkommunale Zusammenarbeit bzw. den Kanton. Damit geht mehr Bürgernähe verloren als beim Zusammenschluss zu Einheiten, die einen Grossteil der kommunalen Aufgaben wieder wirklich autonom erfüllen und/oder eine weitere Zentralisierung von Entscheidkompetenzen beim Kanton verhindern können. Oder anders ausgedrückt: Was bringen kleine Gemeinden mit extremer Bürgernähe, wenn es gar keine Leistungen mehr gibt, die sie selbständig erbringen?

3.       «Gemeindefusionen schwächen das Milizprinzip»

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass bei grösseren Gemeindefusionen ein Teil des Milizgedankens verloren geht, da gewisse Ämter oder Verwaltungsstellen professionalisiert werden.  Allerdings sollte man nicht leugnen, dass diese Professionalisierung bei gewissen Ämtern auch durchaus Vorteile mit sich bringt.

Des Weiteren verwechselt dieser Vorwurf Ursache und Wirkung. Es ist ja nicht so, dass die Schweizer Gemeinden mit einem Überfluss an milizwilligen Personen gesegnet sind. Ganz im Gegenteil: Die Bereitschaft für Milizarbeit auf kommunaler Ebene hat in letzter Zeit stark abgenommen, was viele, gerade kleinere Gemeinden in Bedrängnis bringt. Fusionen können eine gute Antwort auf dieses Problem sein.

Zuletzt sei hier darauf hingewiesen, dass es auch in grösseren Gemeinden Wege gibt, (zumindest) die Gemeindeführung weiterhin im Milizprinzip zu erbringen (Stichwort: CEO-Modell).

 4.       «Gemeindefusionen schwächen die Qualität der direkten Demokratie»

Auch das muss nicht der Fall sein. Im Kanton Glarus sind beispielsweise die Erscheinungsquoten an Gemeindeversammlungen nach der Fusion trotz der viel grösseren Gemeinden sogar leicht gestiegen, was natürlich vor allem auf das (nach der Fusion) kurzfristig grössere Interesse an Gemeindepolitik zurückzuführen ist. Unterdessen liegen die Glarner Quoten etwas unterhalb der Werte vor den Fusionen, allerdings bei weitem nicht so weit, wie hätte befürchtet werden können. Interessant ist auch die Beobachtung, dass sich die Zusammensetzung der Gemeindeversammlungen durch die Fusion deutlich verjüngt hat.  (Ältere Semester bekunden Mühe mit der Identifikation mit der neuen Gemeinde, jüngere Bürger sehen neue Chancen.) Das wird der Zukunftsgerichtetheit der Entscheidungen kaum abträglich sein.

Die Qualität der direkten Demokratie misst sich jedoch nicht nur daran, wie viele über etwas entscheiden, sondern vor allem auch daran, über wie viel überhaupt entschieden werden kann. In Gemeindeverbände oder vertragliche Zusammenarbeit ausgelagerte Aufgaben entziehen sich üblicherweise direktdemokratischen Prozessen. Fusionen, die dazu beitragen, dass mehr Aufgaben wieder autonom durch eine einzelne Gemeinde erfüllt werden können, tragen deshalb zu einer Steigerung der Qualität der direkten Demokratie bei.