Im Buch der Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse werden 44 «Ideen für die Schweiz» vorgestellt. Daniel Müller-Jentsch ist Autor des Kapitels über eine zukunftsfähige Verkehrspolitik. Seine Vorschläge zielen auf grössere Kostenwahrheit und Transparenz ab.
Salome Kern: Was bedeutet für Sie zukunftsfähige Verkehrspolitik?
Daniel Müller-Jentsch: Es geht vor allem um die Finanzierbarkeit des Verkehrssystems, hier liegt das zentrale Nachhaltigkeitsproblem. Denn die Schweizer Verkehrspolitik basiert heute auf umfangreichen und intransparenten Subventionsströmen, die viele Fehlanreize beinhalten. Die führen zu Fehlentwicklungen, die am Ende teuer und ineffizient sind.
Ihrer Meinung nach ist Mobilität also zu stark subventioniert und somit zu billig?
Es gibt drei strukturelle Probleme im Finanzierungsbereich. Das erste sind die zu niedrigen Preise, also die starke Subventionierung. Durch die künstlich tiefgehaltenen Preise fördern wir einen Überkonsum an Mobilität. Das zweite ist, dass die Preise zu wenig differenziert sind und nicht die Knappheit im System widerspiegeln. Drittens sind die Entscheidungen über Investitionen politisiert, sie basieren zu wenig auf Kosten/Nutzen-Überlegungen und zu viel auf regionalpolitischen Erwägungen.
Wie kann verhindert werden, dass die vorhandenen Gelder regional-, anstatt verkehrspolitisch eingesetzt werden?
Eine wichtige Voraussetzung ist Transparenz. Ein erster sinnvoller Schritt ist die geplante Einrichtung von Finanzierungsfonds für Schienen und Strassen. Aber es muss auch bei der Auswahl der Projekte ökonomischer gedacht werden. Zurzeit wird zwischen Sierre und Visp im Wallis eine Autobahnstrecke durch den Berg gebaut. Für diese winzige Ader des Schweizer Strassennetzes wird ein Milliardenbetrag investiert, während sich der Verkehr auf der überlasteten Hauptarterie zwischen Bern und Zürich fast täglich staut. Anstatt die Kapazität der Arterie zu erhöhen, wird irgendwo in der Peripherie ein Luxusprojekt realisiert.
Wie ist die Lage im Schienenverkehr?
Auch dort gibt es Engpässe, aber Überlastungen sind ökonomisch immer eine Frage des Preises. Insgesamt ist ausreichend Kapazität vorhanden, aber halt nicht auf Engpassstrecken oder zu Spitzenzeiten. Dort bräuchte man höhere Preise als Knappheitssignal, dann würde auch die Nachfrage sinken – oder auf andere Strecken und Zeiten ausweichen.
Aufschläge, gerade auch zeitdifferenzierte treffen den Angestellten, der den Arbeitsort und die Arbeitszeit nicht wählen kann.
Das ist richtig. Hier ist auch eine Flexibilität bei den Arbeitgebern gefragt. Allerdings haben die Arbeitsnehmer Einfluss auf die Wahl ihres Wohnortes und diese Wahl wird durch die massive Subventionierung der Mobilität verzerrt.
Wenn aber alle in die Stadt ziehen, steigen die Mieten noch stärker an.
Es geht nicht darum, das System von heute auf morgen radikal zu ändern. Es geht vielmehr darum, Fehlanreize, die durch eine massive Subventionierung gesetzt werden, schrittweise abzubauen und eine allmähliche Verhaltensänderung zu bewirken.
Ihren Empfehlungen zufolge sollte die Eigenfinanzierungsquote im ÖV bis 2020 von 40 auf 50 Prozent erhöht werden und bis 2030 auf 60 Prozent. Das bedeutet eine Preiserhöhung um die Hälfte. Wer verzichtet da noch auf den Komfort des Autos?
Es geht uns nicht darum die Marktanteile der Verkehrsträger zu verändern, sondern um eine grössere Kostenwahrheit. Deshalb plädieren wir auch dafür, parallel zur Preiserhöhung im öffentlichen Verkehr die benutzungsabhängigen Kosten im Strassenverkehr zu erhöhen. In kurzer Frist geht es da etwa um die Erhöhung der Benzinpreise. Es ist zwar richtig, dass der Eigenfinanzierungsgrad im Strassenverkehr höher ist als im öV, aber es gibt auch höhere externe Kosten. Vor allem aber müssen bis 2030 circa 45 Milliarden Franken in den Ausbau des Nationalstrassennetzes investiert werden. Um dies zu finanzieren und um einen Teil dieser Kosten durch Drosselung der Nachfrage zu vermeiden, muss man die Preise erhöhen.
Was steht einer grösseren Kostenwahrheit im Weg?
Die fehlende politische Akzeptanz. Im Prinzip hat man die Bevölkerung durch die künstlich billig gehaltene Mobilität jahrelang angefixt und die Entwöhnung fällt schwer. Für die Menschen ist dies zu einem Gewohnheitsrecht geworden und man hat sein Arbeits- und Freizeitverhalten darauf eingestellt. Insofern wird die Erhöhung der Preise viele Leute direkt treffen und das regt politischen Widerstand. Dabei vergisst man gerne, dass die Kosten aber auch heute schon getragen werden, einfach nur auf verstecktem Weg über die Steuern. Kostenwahrheit bedeutet aber, dass man die Kosten sichtbar und spürbar macht.
Was bedeutet das für die Logistikbranche?
Bei unseren Vorschlägen geht es vor allem um den Personenverkehr. Beim Güterverkehr hat man die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) und damit ein sinnvolles System. Damit erreicht man einen hohen Benutzerfinanzierungsgrad und eine hohe Ausdifferenzierung nach Kosten.
Stichwort Privatisierung. Was haben Sie für Vorstellungen?
Privatisierung im Verkehr ist sicher kein Allheilmittel und man muss mit diesem Instrument behutsam umgehen. In der kurzen Frist könnte man es in Betracht ziehen zur Modernisierung beziehungsweise dem Ausbau des Gotthardtunnels. Da wäre es leicht einzuführen, da es kaum Ausweichmöglichkeiten gibt und eine Mautstelle leicht einzurichten wäre. Geht es aber um flächendeckende Privatisierung, beispielsweise des Nationalstrassennetzes, müssen zuerst andere Probleme gelöst werden. Privatisierung ist also eher ein langfristiges Ziel über das man diskutieren kann, wenn Kostenwahrheit und Benutzungsfinanzierung eingeführt wurden.
Sie möchten, dass die Erhöhung des Kostendeckungsgrades im Verkehr fiskalisch neutral erfolgt. Was bedeutet das für jeden Einzelnen?
Es ist uns wichtig, nicht die Einnahmen des Staates zu erhöhen, sondern die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur umzuschichten. Eine höhere Benutzerfinanzierung ermöglicht es, Subventionen, und damit die steuerlichen Belastungen zurückzufahren. Unterm Strich sinkt die Belastung der Bürger, da im System Kosten vermieden werden. Es geht einerseits um eine Umschichtung und andererseits um eine Kostenersparnis. Diese Umschichtung sollte soweit wie möglich auch verteilungsneutral erfolgen, um die politische Akzeptanz der Reform zu erhöhen.
Wie realitätsnah sind Ihre Ideen für die Verkehrspolitik der Schweiz?
Wir haben zwischen Reformen unterschieden, die in der kurzen und solche die in der langen Frist angegangen werden können. Also eine schrittweise Erhöhung der Billet- und Benzinpreise bei gleichzeitiger Steuersenkung, das liesse sich relativ leicht bewerkstelligen. Etwas aufwändiger ist eine zeitliche Differenzierung der Preise, vor allem im Strassenverkehr, wo sie ein aufwändiges und teures Mautsystem erfordern. Es gibt aber eine ganze Reihe von Einzelmassnahmen, wie das Talzeiten-Generalabonnement oder die Tunnel-Maut, die sich kurzfristig umsetzen liessen. Es geht hier um einen langfristigen Reformprozess, der etappenweise umgesetzt werden muss.
Auto-Schweiz wird in nächster Zeit die «Milchkuh- Initiative» lancieren. Damit möchten sie erreichen, dass alle Abgaben der Strassenbenützer wieder in den Strassenverkehr fliessen. Was hätte das für eine Konsequenz?
Die von uns vorgeschlagenen Reformen sind verkehrsträgerneutral. Unser Ziel ist es nicht, den modalen Mix zu verändern, sondern das Gesamtsystem effizienter zu machen. Wenn das Augenmerk nur auf einen Verkehrsträger gelegt wird, dann hat dies Ausweichreaktionen zur Folge. Da aber bereits heute das Strassen- und das Schienensystem in vielen Bereichen am Anschlag sind, macht eine Umschichtung zwischen den Verkehrsträgern und somit eine Veränderung der relativen Preise wenig Sinn.
Was bedeuten Ihre Ideen für die Raumplanung?
Es gibt viele Wechselbeziehungen zwischen Raumplanung und Verkehrspolitik. Einerseits trägt die massive Subventionierung des Pendlertums stark zu Zersiedlung der Schweiz bei, da sie das Wohnen auf dem Land verbilligt. Andererseits hat die Schweiz massiv Bauzonenreserven für ein bis zwei Millionen zusätzliche Einwohner, die meist in schlecht erschlossenen Gebieten liegen. Lässt man diese Bauzonreserven einfach dort volllaufen, wo sie liegen, hätte dies infrastrukturelle Kosten in Milliardenhöhe zur Folge. Wenn es nicht gelingt, diese raumplanerische Altlast abzubauen, muss das gesamte Verkehrssystem der Schweiz reskaliert werden und das wäre sündhaft teuer.
Dieses Interview erschien in der «UnternehmerZeitung» vom März 2013 unter dem Titel «Eine Frage des Preises».
Mit dem Buch «Ideen für die Schweiz -44 Chancen, die Zukunft zu gewinnen» will Avenir Suisse einen Beitrag leisten zur Sicherung des Lebensraums und Wirtschaftsstandortes Schweiz im Morgen und Übermorgen. Die Vorschläge bilden kein abgerundetes und detailliertes Reformprogramm, sondern sie sind ein Angebot für eine breite und offene Debatte über alle Lager hinweg. Die Ideen sollen diskutiert und weiterentwickelt werden und verhindern, dass die Schweiz wegen ihrer vergleichsweise guten Lage an ihrem Haus nur noch die nötigsten Reparaturen vornimmt.