Singapurs «Civil Service» gilt laut internationalen Statistiken als effizient und korruptionsfrei. Dies hat jedoch seinen Preis: Singapurs Beamte gehören weltweit zu den bestverdienenden.doing-business-index_600

Singapurs «Civil Service» gilt weltweit als eine der effizientesten und korruptionsfreisten Verwaltungen, ein Faktum, das immer wieder als entscheidender Faktor für die erfolgreiche Entwicklung des asiatischen Stadtstaats angeführt wird. Die Effizienz der Singapurischen Verwaltung spiegelt sich etwa im «Doing Business»-Index der Weltbank, der das regulatorische Umfeld für Unternehmen in allen Ländern der Welt bewertet. Der Index, der von Singapur seit Jahren unangefochten angeführt wird, kann mitunter als Gradmesser der Bürokratisierung eines Landes interpretiert werden. Wie aus der Tabelle ersichtlich, handelt es sich hier um einen Bereich, in dem die Schweiz im internationalen Vergleich über die Jahre bedrohlich an Terrain verloren hat. Das ist Grund genug, zu fragen: Was macht Singapur besser als die Schweiz?

Singapurs Staatsgründer Lee Kuan Yew vertrat die Auffassung, dass die besten politischen Ideen ohne eine effektive, mit Talenten besetzte Verwaltung, die solche Ideen in die Praxis umzusetzen vermag, schlicht wertlos sind. Die Struktur der Verwaltung hat also keinen Selbstzweck, sondern ist Teil einer Überlebensstrategie für ein kleines, verletzliches Land, dessen Wohlstand nicht einfach garantiert ist. Und tatsächlich scheint der kleine Stadtstaat bis zum heutigen Tag äusserst erfolgreich darin zu sein, jungen, hoch-qualifizierten und talentierten Personen den Staatsdienst schmackhaft zu machen, obwohl der internationale Wettbewerb um talentierte Personen zunehmend schärfer wird und private Unternehmen oftmals die besseren Karten in der Hand haben als der Staat: Nebst dem schlechten Ruf, den die Verwaltung in vielen Ländern hat, sind staatliche Entlöhnungssysteme oftmals rigide und erlauben es deshalb nicht, für spezielle Qualifikationen Löhne zu bezahlen, die mit der Privatwirtschaft mithalten könnten.

«Integrity. Service. Excellence.»

Dass Singapur es schafft, einen überdurchschnittlich qualifizierten «Civil Service» aufrecht zu erhalten, hat wohl viel mit dessen Organisationstruktur zu tun. Der Singapurische «Civil Service» wird nämlich ähnlich einem Unternehmen geführt. Das Motto, auf das die Beamten eingeschworen werden, lautet «Integrity. Service. Excellence.».

Auf verschiedenen Ebenen wird versucht, den Staatsangestellten grössere und langfristige Zusammenhänge zu vermitteln – etwa aus historischer, politischer, gesellschaftlicher oder ökonomischer Perspektive –, um klassischen Amtskrankheiten wie der «Beamtenblindheit» oder dem «Silodenken» innerhalb von Behörden vorzubeugen. Solch behördenübergreifendes Denken wird beispielsweise vom «Civil Service College (CSC)» gefördert, das nicht wenige höhere Beamten in Singapur durchlaufen.

Auch die Institution des «Administrative Service» dient, nebst der gezielten Förderung und Rekrutierung der nächsten Generation von Chefbeamten, diesem Zweck: Talentierte Fachkräfte werden in diesem «Gefäss» zusammengezogen und arbeiten während einer gewissen Zeit an strategisch wichtigen Positionen in verschiedenen Ministerien, um sich mit den unterschiedlichen Aspekten staatlicher Tätigkeit vertraut zu machen.

Wichtig dürfte ausserdem die in Singapur praktizierte «Currently Estimated Potential (CEP)»-Methode (vgl. Box) sein, nach der alle Beamten jährlich beurteilt werden und die mithilft, die richtigen Personen an der richtigen Stelle einzusetzen.

Gezielte Karriereplanung für alle
Im Singapurischen «Civil Service» erfolgt die jährliche Mitarbeiterbeurteilung anhand der «Currently Estimated Potential (CEP)»-Methode. Dabei wird nicht nur einfach die Zielerreichung geprüft, sondern vor allem auch das langfristige persönliche Potenzial thematisiert und eine systematische Karriereplanung vorgenommen. Einerseits sind hierbei sogenannte «Helikopter-Qualitäten» von Bedeutung, d.h. die Fähigkeit,

  • Probleme aus der Vogelperspektive zu betrachten und gleichzeitig die relevanten Details zu beachten;
  • in- und ausserhalb der Organisation vernetzt zu denken;
  • bei der Entwicklung von Lösungen die sozialen, politischen und technischen Aspekte zu berücksichtigen, aber auch den Anliegen der Geschäftswelt gerecht werden.

Anderseits stehen bei der CEP-Methode auch persönliche Qualitäten wie die Analysefähigkeit, die Vorstellungskraft, der Realitätsbezug, die Leistungsmotivation, die gesellschaftspolitische Empfindsamkeit, die Delegationsfähigkeit, die Entschlussfreudigkeit sowie die Motivations- und Kommunikationsfähigkeit im Vordergrund.

Finanzielle Anreize spielen eine Rolle

Auch wenn der «Civil Service» über einen ausgezeichneten Ruf verfügt, stehen in Singapur junge Talente nicht einfach Schlange, um in den Staatsdienst einzutreten – die Privatwirtschaft bleibt ein scharfer Konkurrent um Hoch-Qualifizierte. Dass der Staat hierbei nicht regelmässig den Kürzeren zieht, hängt unter anderem mit den folgenden finanziellen Anreizen zusammen:

  1. Singapur knüpft die Vergabe von staatlichen Stipendien an die Verpflichtung, nach abgeschlossenem Studium eine bestimmte Zahl von Jahren in den Staatsdienst einzutreten. Die konkrete zeitliche Verpflichtung hängt von der Höhe des Stipendiums und dem Studienort ab: Sie beträgt für eine Studium in den USA beispielweise etwa sechs Jahre, für eine Hochschulausbildung vor Ort rund vier Jahre. Es gibt die Möglichkeit, dem Staat das Stipendium zurückzuerstatten und sich somit vom Staatsdienst «loszukaufen». Da ein solches Stipendium aber in der Regel zwischen 150‘000 und 250‘000 Singapur-Dollar beträgt, ist dies eher die Ausnahme.
  2. Die bestbezahlten Beamten der Welt dürften sich in Singapurischen Amtsstuben finden, da sich die dortigen Beamtenlöhne an der Privatwirtschaft orientieren. Bei der Festlegung eines Gehaltes steht immer die Frage im Vordergrund, was für eine Person mit äquivalentem Profil auf dem freien Markt bezahlt würde. Unter der Verwendung eines solchen Benchmarks kann sich das Gehalt eines «Top Shots» im Staatsdienst gut und gerne der Millionengrenze (in Singapur Dollar) nähern.
  3. Boni als Lohnbestandteile sind in der westlichen Welt in den letzten Jahren in Verruf geraten. Nicht so in Singapur, wo auch Beamte mit Boni belohnt werden. 2013 betrug dieser Bonus (exklusiv des 13. Monatslohn) im Durchschnitt 1,5 Monatslöhne. Individuell können diese Boni jedoch – abhängig von der Leistung – um ein mehrfaches höher ausfallen.

Sesselkleber unerwünscht

Ein weiterer wichtiger Faktor, der die Attraktivität einer Beschäftigung beim Staat erhöht, ist die Strategie, Personen in der Chefetage konsequent nach spätestens zehn Jahren zu pensionieren. So werden die Aufstiegschancen für junge, aufstrebende Talente gewahrt bzw. Fluktuationen aufgrund mangelnder interner Jobaussichten minimiert.

Lektionen für die Schweiz

Struktur, Organisation und Aufgabenbereich der Verwaltung in der Schweiz und in Singapur lassen sich nur sehr bedingt miteinander vergleichen, nur schon deswegen, weil viele Aufgaben, die in Singapur vom «Civil Service» wahrgenommen werden, im Schweizer Milizsystem in den Kompetenzbereich von Laienbehörden fallen. Interessanterweise dürfte damit jedoch, wenn auch auf völlig unterschiedlichem Weg, ein ähnliches Ziel wie in Singapur erreicht werden – privatwirtschaftlich verankerte Laien sind schlicht weniger anfällig für «Beamtenblindheit».

Trotzdem lässt sich fragen, ob im Bereich der professionellen Verwaltung, die heute schweizweit 183‘000 Mitarbeitende umfasst, nicht die eine oder andere Anregung aus Singapur aufgenommen werden könnte. Die Einführung von Boni für Staatsangestellte dürfte hierbei kaum dem Zeitgeist entsprechen, aber ob Stipendien allenfalls nicht auch an eine begrenzte Tätigkeit für den Staat gekoppelt werden könnten, wäre vielleicht auch in der Schweiz eine Diskussion wert.

Ebenso könnte die Einführung eines Rotationssystems in der Verwaltung ernsthaft in Betracht gezogen werden, denn es würde den Blick der Entscheidungsträger für das grosse Ganze schärfen. Auch eine zeitliche Beschränkung, wie lange eine Person einen gewissen Chefposten innehaben darf, wäre bedenkenswert, um jüngeren Mitarbeitern bessere Karrierechancen zu bieten.

Dieser Artikel entstand im Nachgang der von Avenir Suisse und dem Singapurer Think-Tank «Institute of Policy Studies (IPS)» in Rüschlikon organisierten Konferenz «Singapore and Switzerland: Learning from each other».