In den Medien und Meinungsspalten ist der Begriff eines «Neuen Kalten Krieges» schnell zur Hand. Anstelle der «Mind Games» der damaligen strategischen Raketenverschiebungen der Atomwaffen stünden nun Hackerangriffe und 5G-Mobilfunk-Technologien. Ebenso mehren sich Anzeichen eines neuen «Wettlaufs ins All». Propagandaorgane der chinesischen Regierung reihen sich darin zielsicher auf dem zweiten Platz ein, knapp hinter den USA und weit vor Russland. Öffentlichkeitswirksam ist von chinesischen «Mondbasen» und «Marsmissionen» die Rede. Des weiteren ist ein mittels Strafzöllen und anderen industriepolitischen Massnahmen geführter wirtschaftlicher Schlagabtausch festzustellen. Der ehemalige amerikanische Aussenminister Mike Pompeo meinte zum «Neuen Kalten Krieg», «dass China mit seiner wirtschaftlichen Schlagkraft eine grössere Herausforderung darstelle als die Sowjetunion.».
Tatsächlich deutet die zunehmende Polarisierung zwischen den USA und China auf einen mehr oder weniger indirekten Wettstreit der Systeme hin. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas verteilt die geopolitischen Karten neu, weckt Begehrlichkeiten und akzentuiert strategische Rivalitäten. Vermehrt stellen sich hegemoniale Bestrebungen Chinas in den Vordergrund. Sei es durch die sogenannte «Nine-Dash-Line»[1], Ansprüche auf Taiwan oder umstrittene Gebiete in Indien. China will seine Einflusssphäre vergrössern. Insbesondere die «Belt-and-Road-Initiative» kann als Versuch einer Erweiterung des globalen chinesischen Einflusses gewertet werden.
Grenzen der Ähnlichkeit
Die Analogien zum Kalten Krieg bewegen sich jedoch in engen Grenzen. So sind die wirtschaftlichen Implikationen in gänzlich anderen Dimensionen zu beurteilen. Während sich China gemessen am BIP heutzutage gleichauf mit den USA befindet und Amerika kaufkraftbereinigt bereits überholt hat, war das geschätzte BIP der ehemaligen Sowjetunion stets um den Faktor zwei und am Ende (1990) den Faktor drei kleiner als dasjenige der Vereinigten Staaten.
Dasselbe gilt für die Verflechtung der Volkswirtschaften. Trieben die USA und die ehemalige Sowjetunion jährlich Handel im Volumen von 2 Mrd. US-Dollar, erreicht der gegenseitige Handel der USA mit China 2 Mrd. US-Dollar am Tag (2019). Auch bei den militärischen Ausgaben gibt es grosse Unterschiede. So verwendeten die USA während des Kalten Krieges bis zu 9,4% ihres BIP für militärische Zwecke. 2019 waren dies noch 3,4%. Trotz dieser relativen Reduktion überflügeln die USA damit China um beinahe das Doppelte (1,8%). Das militärische Wettrüsten befindet sich zurzeit also noch auf einem gänzlich anderen Niveau als zur «heissesten» Phase des Kalten Krieges.
Auch die ideologische Auseinandersetzung der beiden Hegemonen unterscheidet sich vom Kalten Krieg. Stiessen in der Vergangenheit komplett unterschiedliche Wirtschaftssysteme aufeinander, erscheint China der «Export» der eigenen Wirtschaftsordnung nicht so zentral zu sein wie damals der Sowjetunion. Chinas Aufstieg zu einer Weltmacht gründet nicht in militärischer Stärke oder ideologischer Überzeugungskraft, sondern fusst primär auf wirtschaftlicher Dominanz und dem weltweiten Ausrollen von staatlich mitfinanzierten Technologien wie etwa 5G.
Druck auf internationale Organisationen
Die Rolle Chinas in multilateralen Foren ist gespalten. So ist das Land der Mitte Mitglied der WTO, des IMF, der Weltbank, sogar des Pariser Klimaabkommens. Zurzeit scheut das Land aber noch davor zurück, formell eine allzu grosse Verantwortung in den internationalen Gremien zu übernehmen. Gleichzeitig versucht die Regierung in Peking Druck auszuüben und Einfluss auf diverse internationale Organisationen zu nehmen. Ein Beispiel war während der jüngsten Corona-Pandemie zu beobachten: Entgegen der gesundheitspolitischen Sinnhaftigkeit wurde eine Einbindung Taiwans in die Weltgesundheitsorganisation (WHO) verhindert, trotz anfänglicher Erfolge der Insel bei der Bekämpfung der Pandemie.
Das diplomatische Powerplay in der Uno ist ähnlich geartet. China hat – als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates – ein Vetorecht. Im Vergleich zur ehemaligen Sowjetunion benutzt es dies bislang jedoch relativ spärlich. Legte die Sowjetunion bis 1991 insgesamt 90-mal das Veto ein, machte China bisher nur 17-mal davon Gebrauch. Dies ist gleichviel wie Frankreich insgesamt, halb so viel wie das Vereinigte Königreich und 5-mal weniger als die USA. Zwar häufte sich das chinesische Veto in jüngster Zeit. So fallen 14 der 17 Einsprüche in die letzten 20 Jahre. Es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzt und das Instrument des Vetos durch China künftig häufiger benutzt wird.
Kein Kalter Krieg 2.0
Eine Neuauflage des Kalten Krieges mit China anstelle der Sowjetunion erscheint unwahrscheinlich, zu gross sind die Unterschiede, zu eng ist die wirtschaftliche Verflechtung. Ein zukünftig frostigeres Verhältnis zwischen dem Westen und China ist jedoch möglich. Das Risiko einer weiteren Verschlechterung der Beziehung sollte wirtschaftlich, politisch und gegebenenfalls auch militärisch im Sinne einer Vorsorge durch die einzelnen Staaten und ihre Unternehmen eingeplant werden.
Chinas Aufstieg zu einer Weltmacht basiert bislang nicht auf seiner militärischen Dominanz oder ideologischen Überzeugungskraft, sondern fusst primär auf seiner wirtschaftlichen Stärke und auf seinen technologischen Innovationen. Insgesamt lassen sich nur wenige Parallelen zwischen dem Kalten Krieg und dem heutigen geopolitischen Umbruch ziehen. Viele medial gemachte Vergleiche und daraus abgeleitete Prognosen zur Rolle Chinas in der Welt bleiben in ihrem Nutzen aber letztlich eingeschränkt. Die militärische, ideologische, aber insbesondere wirtschaftliche Lage bewegt sich jeweils in unterschiedlichen Dimensionen und lässt historische Analogien schwerlich zu. Bereits der französische Historiker Marc Bloch schrieb: «Sie [die Geschichte] wiederholt sich nie exakt». Er wird wohl auch in Bezug auf China Recht behalten.
Weiterführende Informationen zum Thema finden Sie in unserer Studie «Navigieren in unruhigen Gewässern – Drei Optionen für die Schweiz im Umgang mit China»
[1] Die sogenannte «Nine-Dash-Line» bezeichnet eine imaginäre Grenzziehung der VR China im Südchinesischen Meer. Damit werden Gebietsansprüche gestellt, die weit in die Hoheitsgebiete Vietnams, der Phillippinen, Malaysias und Bruneis hineinreichen.