Bereits im März 2000 veröffentlichte der Bundesrat seine Botschaft über die erste BVG-Revision. Darin schlug er eine stufenweise Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 7,2% auf 6,65% während einer Übergangszeit von 13 Jahren vor, um die Quersubventionierung zwischen Aktiven und Rentnern zu verringern.
Zögerliche Politik bereits zu Beginn
Das Parlament hingegen verfolgte weniger ehrgeizige Ziele und erhöhte den Zielsatz auf 6,8%, verkürzte aber die Übergangszeit auf zehn Jahre. Damit berücksichtigten die eidgenössischen Räte lediglich die gestiegene Lebenserwartung bis 2015, nicht aber die tieferen Renditen. Denn damals wurde die Börsenentwicklung noch nicht (ausreichend) thematisiert. Dass rasches Handeln notwendig war, wurde indessen erkannt. Denn bereits 2004, ein Jahr vor Inkraftsetzung der 1. BVG-Revision, wurde eine Arbeitsgruppe mit der Erarbeitung neuer technischer Grundlagen betraut. Diese schlug dem Parlament vor, den Mindestumwandlungssatz rascher (bereits 2011 statt 2014) und stärker (auf 6,4%) zu senken. Die Vorlage nahm zwar die parlamentarische Hürde, wurde aber 2010 vom Stimmvolk verworfen. Ein weiterer Reformvorstoss, die Reform Altersvorsorge 2020, die einen Umwandlungssatz von 6% vorsah, scheiterte 2017 ebenfalls an der Urne. Die jüngste Reformvorlage, BVG 21, wurde in diesem Frühjahr vom Parlament verabschiedet und dürfte im kommenden Jahr zur Abstimmung gelangen.
Angesichts der politischen Untätigkeit handeln nun die Kassen
Während sich die politischen Kreise gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben, wollten die 1500 Pensionskassen nicht bis zum Sankt-Nimmerleinstag warten. Der Median-Umwandlungssatz liegt 2023 nun bei 5,25% und damit unter dem von der Politik angepeilten Satz von 6%. Diese Senkung wird von Ausgleichsmassnahmen begleitet, um die damit einhergehenden Renteneinbussen teilweise abzufedern. Gemäss Swisscanto beläuft sich die Ersatzquote der AHV und der beruflichen Vorsorge auf insgesamt 70% und ist seit fünf Jahren stabil. Diese Quote ist zwar in den letzten Jahrzehnten gesunken, liegt aber immer noch deutlich über dem Ziel von 60%, das bei der Einführung des Drei-Säulen-Prinzips formuliert wurde. Zudem haben die paritätischen Organe der Pensionskassen nicht nur den versicherungstechnischen Vorgaben, sondern auch den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung getragen. Heute hat mehr als ein Viertel aller Kassen den Koordinationsabzug abgeschafft, der die immer beliebter werdende Teilzeitarbeit bestraft. Eine von fünf Kassen berechnet diesen Abzug anhand des Beschäftigungsgrads, während zwei von fünf die Lohnhöhe berücksichtigen.
Der Zug ist bereits abgefahren
Die Reform BVG 21 geht somit auf ein Problem ein, das bereits vor einem Vierteljahrhundert erkannt wurde. Doch in der Zwischenzeit wenden 91% aller Kassen einen Umwandlungssatz an, der unter dem BVG-Mindestsatz liegt. 88% der Vorsorgeeinrichtungen haben den Koordinationsabzug entweder abgeschafft oder flexibilisiert. Die Politik versucht nun, so gut es geht auf den bereits abgefahrenen Zug aufzuspringen. Doch der Preis dafür ist hoch. Es stimmt zwar, dass die jüngste Reform die Querfinanzierung der Rentner durch die aktiven Beitragszahler um 400 Millionen Franken pro Jahr verringert. Doch die im Gegenzug vereinbarten Kompensationsmassnahmen werden die Erwerbstätigen jährlich 800 Millionen Franken kosten. Es ist wie ein verkehrtes Sonderangebot: Statt «zwei für eins» bezahlt man zwei Artikel, bekommt aber nur einen. Die Reform rennt nicht nur offene Türen ein, sie verstärkt auch noch die Generationenungerechtigkeit.
Die Probleme liegen woanders
Die laufende Reform vereinnahmt die Politik und lenkt sie von den neuen Herausforderungen ab. Seit der Rückkehr der Inflation lässt sich eine Umkehr der versicherungsmathematischen Trends beobachten. Laut Swisscanto steigen die langfristigen nominalen Renditeerwartungen (technischer Zinssatz) zum ersten Mal seit 1985 wieder an. Angesichts der Inflation wird der Erhalt der Kaufkraft der Rentner erneut zu einer Priorität. Dennoch ist es nach der stufenweisen Senkung der Umwandlungssätze wichtig, bei den Rentnern eine Differenzierung nach Renteneintrittsjahr vorzunehmen. Es gilt, eine Indexierung nach dem Giesskannenprinzip zu vermeiden und für ein Gleichgewicht zwischen den Kohorten zu sorgen. Dieses Gleichgewicht muss auch gegenüber den aktiven Versicherten gewahrt werden, denn auch sie sind von der Inflation betroffen: bei ihren Reallöhnen und damit bei ihren Beiträgen, aber auch bei ihren Vorsorgeguthaben. Ist die Verzinsung der Altersguthaben tiefer als die Inflation, so verlieren diese Sparguthaben und damit auch die zukünftigen Renten an Wert. Dies war 2022 der Fall, als die durchschnittliche Verzinsung mit 1,9% beinahe einen Prozentpunkt unterhalb der Teuerungsrate von 2,8% lag. Wenn sich die Politik der Inflationsproblematik in der Vorsorge annimmt, ist es besonders wichtig, dass nicht nur auf die Forderungen der Rentner eingegangen wird, sondern auch die Interessen der Erwerbstätigen berücksichtigt werden.
Dieser Beitrag ist in der Juli-Ausgabe der «Schweizer Personalvorsorge» erschienen.