Nach der Annahme der Reform AHV 21 und der Angleichung des Rentenalters der Frauen an das der Männer werden immer mehr Stimmen laut, die eine Besserstellung der Frauen in der 2. Säule fordern. Dabei geht es nicht nur darum, ein in der Abstimmungskampagne gemachtes Versprechen einzulösen, sondern vor allem auch darum, den gesellschaftlichen Entwicklungen im 21. Jahrhundert Rechnung zu tragen.

Eher eine technische als eine grundsätzliche Frage

Wer Teilzeit oder gleichzeitig bei mehreren Arbeitgebern arbeitet, ist in der 2. Säule weniger gut versichert, denn die Eintrittsschwelle und der Koordinationsabzug, die den versicherten Lohn bestimmen, sind feste Beträge und somit unabhängig vom Beschäftigungsgrad. Diese Beschäftigungsformen betreffen indessen vor allem die Frauen.

Eine Senkung der Eintrittsschwelle oder des Koordinationsabzugs würde deren Vorsorge verbessern, und im Prinzip dürfte dieser Vorschlag im Parlament kaum auf Widerstand stossen. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Soll man für den Beschäftigungsgrad absolute oder relative Zahlen festlegen? Soll man die Eintrittsschwelle oder den Koordinationsabzug ins Visier nehmen? Braucht es Übergangsfristen?

Diese Herausforderungen sind jedoch eher technischer als grundsätzlicher Natur. Gemäss Swisscanto haben lediglich 14% aller Pensionskassen den Koordinationsabzug noch nicht auf freiwilliger Basis reduziert oder flexibilisiert. Für die meisten Versicherten hat die Realität die Politik überholt. Deshalb sollte sich das Parlament bei der Festlegung dieser Schwellenwerte nicht verkrampfen. Die Anpassung würde nur wenige Unternehmen betreffen, und zudem wären auch Übergangslösungen möglich.

Die Vorsorge ist der falsche Ort, um Probleme wie die familienexterne Kinderbetreuung, die fehlende Individualbesteuerung oder die Hürden bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu beheben. (Peter Conlan, Unsplash)

Die Kehrseite der Medaille

Etwas heikler ist die im Rahmen der Reform BVG 21 vorgesehene Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8% auf 6%. Dieser Satz ist für Männer und Frauen gleich hoch. Mit der Annahme der Reform AHV 21 wird dieser Satz künftig auf beide Geschlechter für das Referenzalter 65 angewandt.

Obwohl der Umwandlungssatz vom Gesetz her nicht geschlechtsspezifisch ist, wird es dessen Anpassung in der Praxis sein, und zwar zu Ungunsten der Männer. Denn während die Frauen aus den oben genannten Gründen oft weniger gut abgesichert sind, verfügen die Männer über mehr BVG-Vorsorgeguthaben und sind somit die Hauptbetroffenen von der Senkung des Umwandlungssatzes. Laut dem Bundesamt für Statistik waren 58% der Personen, die 2020 erstmals eine BVG-Rente bezogen, Männer, die wiederum insgesamt 70% aller Rentenzahlungen erhielten. Die Einführung eines Rentenzuschlags für alle, wie dies die Gewerkschaften vorschlagen, um die Frauen für die Senkung des Umwandlungssatzes zu entschädigen, ergibt somit keinen Sinn.

Paare verreisen gemeinsam in die Ferien

Oft wird das geschlechtsbedingte Rentengefälle als Rechtfertigung einer gezielten Unterstützung der Frauen vorgebracht. Die erwähnten Statistiken berücksichtigen jedoch lediglich das Geschlecht der versicherten Person, nicht aber deren Familiensituation. Und sie bilden die Realität von verheirateten Rentnerinnen und Rentnern nur schlecht ab. Paare bilden eine Wirtschaftseinheit, in der Ausgaben und Einnahmen geteilt werden. Der Gatte verreist nicht allein in die Ferien, während die Gattin zuhause zurückbleibt. Der vorgeschlagene Zuschlag für alle oder nur für die Frauen würde einen Unterschied ausgleichen, der in der Praxis selten so wahrgenommen wird.

Thematische Vermischung vermeiden

Die Vorsorge ist der falsche Ort, um Probleme wie die familienexterne Kinderbetreuung, die fehlende Individualbesteuerung oder die Hürden bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu beheben. Diese Probleme muss man an der Wurzel packen und nicht erst nach 40 Jahren im Beruf.

Mit der laufenden BVG-Reform bietet sich indessen eine gute Gelegenheit für eine Anpassung der beruflichen Vorsorge an die neue Realität der Arbeitswelt, insbesondere an jene der Frauen. Dabei müssen aber unbedingt die Grundsätze der 2. Säule respektiert werden: ein Ersatzeinkommen, das die berufliche Tätigkeit widerspiegelt und über das Kapitaldeckungsverfahren finanziert wird. Nach dem Giesskannenprinzip verteilte und durch das Umlageverfahren finanzierte Rentenzuschläge sind auch im Namen der Gleichstellung zu vermeiden. Vergessen wir nicht, dass solche zusätzlichen Ausgaben die Löhne junger Menschen – Männer und Frauen – belasten werden. Denn Solidarität ist nicht nur eine Frage des Geschlechts, sondern auch der Generationen. Deshalb müssen unsere gewählten Volksvertreter einerseits jene Parameter anpassen, die gewisse Arbeitsformen oder Organisationsformen in Paarbeziehungen benachteiligen, und andererseits die Kohärenz der Finanzierung der 2. Säule sicherstellen.

Dieser Beitrag ist in der Zeitschrift «Schweizer Personalvorsorge», Ausgabe 11/22, erschienen.