Wertschöpfung und Beschäftigung nach Branchen in der Schweiz

Seit der Veröffentlichung des Berichts zur Rohstoffbranche des Bundesrates ist einer der verschwiegensten Wirtschaftszweige des Landes in aller Munde. In den Statistiken, auch in unserer Graphik, taucht sie vordergründig allerdings nicht auf. Bei den Beiträgen zur Bruttowertschöpfung und somit zum Bruttoinlandprodukt liegen, wenn man Versicherungen und den übrigen Finanzsektor als getrennte Branchen betrachtet, wie das die offizielle Statistik tut, an vorderster Stelle mit deutlichem Abstand der Grosshandel und die öffentliche Verwaltung. Andere prominente Branchen wie Chemie/ Pharma, Uhrenindustrie oder Maschinenbau liegen weit zurück.

Der Grosshandel als Wachstumsmotor

Die starke Stellung der Verwaltung ist nicht verwunderlich, weil sie hauptsächlich gemäss ihren Produktionskosten erfasst wird und nicht, wie die Privatwirtschaft, gemäss der auf Märkten erzielten Wertschöpfung. Kaum jemand käme dagegen bei der Frage nach den Treibern des Wohlstands auf die Idee, den Grosshandel an erster Stelle zu nennen. Tatsächlich trägt er im hier dargestellten Jahr 2010 mit 57,4 Mrd. Fr. mehr als einen Zehntel (10,6%) zur Bruttowertschöpfung bei. Und er überholte, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, bereits 2001 die Banken und Finanzdienstleister als Leader ausserhalb der staatlichen Verwaltung. Beides hat mit der Rohstoffbranche zu tun. Was die Statistik als Grosshandel ausweist, umfasst nämlich nicht nur den unabhängigen Fachgrosshandel und Vertriebsgesellschaften von Herstellerfirmen, sondern auch den internationalen Rohstoffhandel. Auf ihn entfällt gemäss der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) ein Drittel der Bruttowertschöpfung des Grosshandels.

Damit wäre sein Beitrag zum Bruttoinlandprodukt mit 3,6% ähnlich wie jener der Uhren- oder der Pharmabranche. Regional ist dieser Beitrag noch höher; für Genf, vor Zug und Lugano das Rohstoff-Zentrum in der Schweiz, wird er auf 10% geschätzt. Der Rohstoffhandel trug auch dazu bei, dass die Schweiz besser durch die Krise kam als andere Industrieländer. Rund die Hälfte des Wachstums der letzten Jahre ist dem zum Teil heftig angefeindeten Sektor zu verdanken, und auch in der Ertragsbilanz nahm er 2011 erstmals den Spitzenplatz ein, vor den Finanzdienstleistungen.

Keine Beschäftigungsmaschine

Anders sieht es in Sachen Beschäftigung aus. Gemäss Schätzungen arbeiten nur etwas mehr als 10‘000 Menschen im Rohstoffhandel. Würde der Rest der Wirtschaft ähnlich wenig Leute beschäftigen, gäbe es in der Schweiz ungefähr 300‘000 Arbeitsplätze und nicht wie aktuell 4,1 Mio. Allerdings ist der Vorwurf der geringen Bedeutung für den Arbeitsmarkt nicht sachgerecht. Branchen mit hoher Arbeitsproduktivität sind nämlich logischerweise schlechte «Beschäftigungsmaschinen». Dazu zählen Pharma, Versicherungen, Energieversorger, Telekom, Banken und der Grosshandel. Traditionelle Dienstleistungen wie etwa das Gastgewerbe bieten dagegen zwar viele Arbeitsplätze, können aber nur tiefe Löhne zahlen. Auch das Steueraufkommen des Rohstoffhandels scheint gering zu sein, zum Teil wegen Steuerregimen, die offenbar der Branche entgegenkommen. Immerhin: In Genf sollen vom Rohstoffsektor doch rund 10% aller Unternehmenssteuern des Kantons generiert werden.

Im «Grundlagenbericht Rohstoffe» kommt nun klar zum Ausdruck, dass der Rohstoffhandel für den Wohlstand der Schweiz wichtig ist, nachdem in der Finanz- und Wirtschaftskrise ein traditioneller Pfeiler der Volkswirtschaft, der Finanzsektor (Banken, Finanzdienstleistungen und Versicherungen), massiv und dauerhaft unter die Räder geraten ist. Da ist es erfreulich, dass die Landesregierung nicht, wie schon öfter, der Neigung nachgibt, sich auch beim Rohstoffhandel durch überhastete Regulierung selbst ins Bein zu schiessen.

Drei Problemfelder

Allerdings scheinen drei Problemfelder ungelöst: Erstens lässt sich aus den Rohstoffunternehmen steuerlich vermutlich mehr herausholen, ohne dass man sie deswegen gleich in die Flucht schlägt. Das gäbe der Branche mehr politische Akzeptanz. Zweitens muss man angesichts der überragenden Stellung der kleinen Schweiz mit Neid von Konkurrenten wie London, New York, Dubai oder Singapur rechnen. Sie werden, wie im Finanzsektor, subtil und weniger subtil Druck auf die Schweiz ausüben und versuchen, ihren Marktanteil zulasten der Schweiz zu vergrössern. Dabei werden sie, drittens, das Reputationsrisiko instrumentalisieren.

Die Förderung von Rohstoffen ist, so wichtig sie ist, leider oft kein «unschuldiges» Geschäft. Korruption, schlimme Arbeitsbedingungen und Kriminalität spielen stärker eine Rolle als anderswo. Es ist daher richtig, dass der Bundesrat nicht der Illusion erliegt, die Schweiz könne – womöglich im Alleingang – Missstände und Risiken ausmerzen, dass er aber wohl die Notwendigkeit sieht, sie zu reduzieren. Es wäre jedoch sinnvoll, er würde sich führungsstärker in die internationale Debatte einbringen, denn sonst könnte leicht passieren, was die Schweiz in der Finanzbranche so schmerzlich erfahren musste: dass mächtigere Konkurrenten geschickt mit dem Instrument der moralischen Entrüstung spielen, willig sekundiert von moralisierenden Gruppen in der Schweiz, dass sich diese Konkurrenten selbst aber keinen Deut besser verhalten als die Schweiz. Die Schweiz trägt daher davon doppelten Schaden: negative Schlagzeilen und den Verlust eines Geschäftes an andere Länder. Soweit sollte es im Rohstoffhandel nicht kommen.

Dieser Artikel erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 30. März 2013.
Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Zürcher Zeitung.