Eine Podiumsdiskussion, getragen von Avenir Suisse, dem Kantonal-Schwyzerischen Gewerbeverband sowie der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz bei Victorinox in Ibach SZ, widmete sich der Frage «Schweiz – Wohin des Weges?». Auf Basis des im Mai 2018 veröffentlichten Weissbuchs Schweiz und in Anbetracht der aktuellen politischen Geschehnisse wurde diese Frage durch eine prominent besetzte Podiumsrunde diskutiert. Ein differenziertes und tiefgründiges Input-Referat von Alt-Bundesrat Kaspar Villiger lieferte die entsprechenden Denkanstösse.

Windmühlen statt Mauern, Verhältnismässigkeit statt Willkür 

In seinem Begrüssungsvortrag über das traditionsreiche Familienunternehmen Victorinox sprach dessen CEO Carl Elsener darüber, welche Herausforderungen die heute weltbekannte Firma in ihrer langen Geschichte meistern musste. Wie Krisen als Chancen genutzt werden, wird mit einem chinesischen Sprichwort untermauert, dem man sich am Standort Ibach in Schwyz stets treu bleibt: «Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen». Dank Windmühlen in Form von finanziellen Reserven und unternehmerischer Innovationskraft wurden die letzten beiden Krisen (Terroranschläge vom 11. September 2001 und Finanzkrise von 2008) sehr gut weggesteckt.

Ein vielschichtiges Referat lieferte alt Bundesrat Kaspar Villiger. Er sieht für die Schweiz vier Optionen: Rückzug auf ein Freihandelsabkommen, Verbleib im Status quo, Weiterentwicklung der Bilateralen mit dem Rahmenabkommen und Beitritt zur EU. Er bewertete diese Optionen auf der Basis der Kriterien Wohlstand, individuelle Freiheiten, Wirtschaftsfreiheit und Souveränität. Im Hinblick auf den Wohlstand schneiden die Weiterentwicklung der Bilateralen und der EU-Beitritt für den alt Bundesrat vergleichbar gut ab, während ein Rückzug auf ein Freihandelsabkommen oder der Status quo wegen fehlender Rechtssicherheit und fehlender Anpassung an sich entwickelndes EU-Recht die Standortqualität signifikant verschlechtern. Ein EU-Beitritt kommt aber nicht in Frage, weil das politische System Brüssels mit wesentlichen Bestandteilen unserer politischen Kultur (Föderalismus, Subsidiaritätsprinzip, direkte Demokratie, Milizsystem) inkompatibel sei. Diese politische Kultur sowie die Souveränität als Ganzes können dagegen mit dem Rahmenabkommen erhalten werden. Es ist unter Abwägung aller Faktoren die beste Lösung.

Kaspar Villiger. (Avenir Suisse)

Die Schweiz möchte am EU-internen Rechtssystem des Binnenmarktes teilhaben, weil es ihr wirtschaftliche Vorteile bringt. Niemand zwing sie dazu, aber wenn sie es tun will, muss sie die EU-internen Regeln akzeptieren. Das ist mit dem Verhältnis Liechtensteins zur Schweiz vergleichbar: Liechtenstein profitiert von der Zoll- und der Währungsunion mit der Schweiz, muss sich aber an die Schweizer Regeln halten. Trotzdem sind bei Änderungen der vom Rahmenvertrag betroffenen Erlasse unsere direktdemokratischen Prozesse gewahrt. Ein Nein ist möglich, kann aber verhältnismässige Gegenmassnahmen zur Folge haben, wobei ein unabhängiges Schiedsgericht die Verhältnismässigkeit beurteilen kann. Das ist ein Fortschritt gegenüber heute, wo willkürliches Piesacken möglich ist.

Zwischen Weltoffenheit und Tradition 

Aus Sicht des Unternehmers Carl Elsener sind protektionistische Tendenzen problematisch, da Victorinox den für die Messerklingen benötigten Stahl aus Frankreich und Deutschland importiere. Allerdings stellt die EU ein relativ geringes Klumpenrisiko dar. Im EU-Binnenmarkt wird ein gleich hoher Umsatz wie in den USA erzielt (je rund 25%). Daher ist eine dynamische Weiterentwicklung des bilateralen Wegs genauso zentral wie der Abschluss eines Freihandelsabkommens mit den USA.

Die Szenarien des Weissbuchs erinnern Elsener an das eigene Unternehmen. Wie im Weissbuch veranschaulicht, müssen mutige und innovative Zukunftsvisionen immer Widerstände überwinden. Dabei ist der Grundstein des Erfolgs eine fein austarierte Balance von Weltoffenheit und Traditionen. Sorgen bereiten die rund hundert jährlichen Kontrollen durch Ämter und der illiberale Charakter neuer Gesetze. Die Zukunft der Schweiz wird dennoch besser, als Pessimisten predigen, aber schlechter, als von Optimisten erhofft. Auf politischer Ebene wird das gemeinsame Suchen nach Lösungen entscheidend sein.

FDP-Parteipräsidentin Petra Gössi, Victorinox-CEO Carl Elsener und Avenir-Suisse-Direktor Peter Grünenfelder (v.r.n.l.) betonten an der von Bruno Affentranger (l.) moderierten Veranstaltung ebenfalls die Bedeutung einer dynamischen Weiterentwicklung des bilateralen Verhältnisses zwischen der Schweiz und der EU. (Fotos Carmen Sopi, Avenir Suisse)

Verantwortung über das Parteiprogramm hinaus 

Für Petra Gössi, Schwyzer Nationalrätin und Präsidentin der FDP Schweiz, ist es wichtig, die Wettbewerbsfähigkeit durch neue Freihandelsabkommen einerseits und das Rahmenabkommen andererseits weiter zu stärken. Politische (Nicht-) Entscheide haben dabei immer einen Preis. Die Blockadepolitik der Bauernlobby, aber auch die Diskussionsverweigerung der beiden Polparteien treibe den Preis für die Bevölkerung in die Höhe. Politische Verantwortung zu übernehmen müsste über das Parteiprogramm hinausgehen.

Diskussionen auf einer Flughöhe wie vom Weissbuch angestossen, sind diejenigen, welche das Land weiterbringen werden. Diese regen zu grundsätzlichen Fragen über die Zukunft der Schweiz an, zum Beispiel wie es mit Themen wie der Eigenständigkeit, der Digitalsteuer, der Altersvorsorge und den Gesundheitskosten weitergehen kann. Zudem müsse die Schweiz auch die Umweltpolitik mit ihrer beachtlichen Innovationsfähigkeit verknüpfen, um einer Verbotskultur vorzubeugen. Dies sind neben der Europadebatte die zentralen Herausforderungen, die vom Bundesrat durch eine strategische Führungsrolle zu lösen sind.

Status quo ist keine Option

Für Peter Grünenfelder befindet sich mit der EU der grösste Absatzmarkt der Exportindustrie direkt vor der Haustüre. Gleichzeitig müssen im Sinne der Potenzialoptimierung Märkte wie Mercosur und die USA durch Freihandelsabkommen besser erschlossen werden. Allerdings werden derartige Abkommen durch die Bauernlobby verhindert, wodurch die Schweizer Bauern in ihrer unternehmerischen Entwicklung über Gebühr eingeschränkt werden. Das Verharren in Status-quo-Denken ist keine Option, wollen wir uns weiterentwickeln.

Neben dem Europadossier sollten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert werden. Kein vom Brexit betroffenes Unternehmen ist in die Schweiz gekommen, die Eröffnung eines Startups dauert hierzulande zehn Tage, in den Niederlanden deren vier. Daneben müsse die Migrationsdebatte sachlicher und weniger emotional diskutiert werden.

In einem Schlussvotum zur Podiumsdiskussion kritisierte Kaspar Villiger, dass in der aktuellen Europadebatte die kategorische Diskussionsverweigerung der grössten politischen Partei die politische Kompromisssuche nach links verschiebt, was liberale Lösungen erschwert und der Linken ein Erpressungspotenzial in die Hand gibt. Ein einiger und führungsstarker Bundesrat habe in unserer Geschichte immer wieder Berge versetzen können. Es sei nicht einzusehen, warum er das Volk nicht auch für den Rahmenvertrag sollte überzeugen können, wenn er sich zur Einigkeit durchringt.

Download Referat von alt Bundesrat Kaspar Villiger