Während einer Krise das zu exportieren, was man selbst am dringendsten braucht, klingt absurd. Demnach erstaunt es wohl niemanden, dass im Covid-Jahr 2020 weltweit 209 Exportbeschränkungen auf medizinische Güter und Medikamente erhoben wurden. Das Regelwerk der Welthandelsorganisation (WTO) hält aber fest, dass Restriktionen auf Exporten grundsätzlich nicht erlaubt sind. Ein Grund dafür ist, dass diese einen unfairen Vorteil schaffen können: Exportbeschränkungen senken den inländischen Preis eines Gutes, da ein Teil der zum Export vorgesehenen Menge auf dem Heimmarkt verkauft wird. Durch eine derartige Massnahme – z.B. auf natürliche Ressourcen wie Metalle – kann die eigene verarbeitende Industrie also zu tieferen Kosten produzieren. Ist das Land gross genug, führt dies zu einem knapperen Angebot und höheren Preisen für die Handelspartner.
Es gibt Ausnahmen, etwa, wenn in gesundheitsbezogenen Notfällen die eigene Versorgung gefährdet ist. Voraussetzung ist allerdings immer, dass die Massnahme vorübergehend ist und auf essenzielle Güter beschränkt bleibt. Davon haben 2020/21 mehrere Staaten Gebrauch gemacht (Evenett 2021). Doch bei einigen Exportbeschränkungen bleibt es umstritten, ob sie nach den WTO-Regeln tatsächlich rechtmässig sind (Horn und Mavroidis 2021). Die Ausfuhrbeschränkung der EU (2021/111) beispielsweise ist nach dem vorgesehenen Endzeitpunkt weiterhin in Kraft. Je länger dieser Zustand andauert, desto weniger glaubwürdig wird der temporäre Aspekt. Zudem werden Handelspartner unterschiedlich behandelt, denn es gibt eine Liste von Staaten, die von der Beschränkung der EU ausgenommen sind. Auch das könnte das Prinzip der Nicht-Diskriminierung verletzen.
Es ist kein gutes Zeichen für den Welthandel, wenn in Krisenzeiten Exportbeschränkungen eingeführt werden, die nur dem Anschein nach den Regeln entsprechen. Besorgniserregend ist aber auch, dass diese Entwicklung – da die WTO bereits seit einiger Zeit in einer eigenen Krise steckt (vgl. Avenir Suisse 2019) – einen weiteren Schritt in Richtung eines machtbasierten Handelssystems signalisiert.
Dies ist vor allem für Kleinstaaten wie die Schweiz ein Nachteil, denn diese können sich schlecht gegen die Massnahmen grosser Handelspartner wehren. Dabei sind sie besonders stark auf den Warenaustausch angewiesen – auch, um z.B. selbst Impfstoff produzieren zu können. Die gesamte Wertschöpfungskette zu nationalisieren wäre mit sehr hohen Kosten verbunden, ohne unbedingt die Versorgungssicherheit zu verbessern (vgl. Avenir Suisse 2020). Stattdessen lohnt es sich, in der globalen Lieferkette integriert zu bleiben (Evenett et al. 2021): Ein Land, das Komponenten zur Weiterverarbeitung importiert, wird eher keine Exportbeschränkungen gegen seine Handelspartner erheben.
In der Sommerreihe «Corona in Zahlen» beleuchten die jüngeren Forscherinnen und Forscher von Avenir Suisse die Folgen der Pandemie für unterschiedlichste Bereiche unserer Gesellschaft: die Staatsausgaben, den Aussenhandel, Verkehrsfragen, die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen, die Gleichstellung – und vieles mehr.