Ein heisser Steuersommer steht der Schweiz bevor: die G20-Staaten erwägen strengere Steuerstandards für internationale Konzerne, und auch die Europäische Union will die kantonalen Steuerregimes für Holding-, Domizil- und Gemischte Gesellschaften nicht länger tolerieren. Im Zentrum der Kritik steht die unterschiedliche Besteuerung von Inland- und Auslanderträgen, die es in dieser Form nur in der Schweiz gibt. Misslingen die laufenden Verhandlungen mit der Ecofin (den Finanzchefs der EU-Staaten), drohen der Schweiz Sanktionen und einmal mehr die «schwarze Liste». Der Druck aus dem Ausland auf Bund und Kantone ist gross, unmittelbar und stellt einen wesentlichen Bestandteil des wirtschaftspolitischen Selbstverständnisses der Schweiz in Frage – den Steuerwettbewerb.

Steuerwettbewerb: Abendliches Gespräch bei Avenir Suisse mit Marco Salvi, Gerhard Schwarz, Adrian Hug und Stefan Kuhn (v.l.n.r.)

Abendliches Gespräch bei Avenir Suisse mit Marco Salvi, Gerhard Schwarz, Adrian Hug und Stefan Kuhn (v.l.n.r.)

Das «Abendliche Gespräch» zur Zukunft der Unternehmenssteuer bei Avenir Suisse stiess denn auch trotz hochsommerlichen Badewetters auf viel Interesse, auch weil mit Adrian Hug der neue Direktor der Eidgenössischen Steuerverwaltung (seit 1. April 2013 im Amt) einen seiner ersten öffentlichen Auftritte in neuer Funktion hatte. Zuvor hatte Hug das Steueramt des Kantons Zürich geleitet. Stephan Kuhn (Managing Partner bei Ernst & Young) und die Avenir-Suisse-Gastgeber Gerhard Schwarz und Marco Salvi ergänzten die Gesprächsrunde.

Das Unternehmenssteuer-Trilemma

Sechs Monate Zeit habe sich die Schweiz im Steuerstreit mit der EU verschaffen können, und auch das nur dank der Bereitschaft, die kantonalen Sonderregelungen bei der Besteuerung internationaler Konzerne abzuschaffen. Nun gehe es darum, Lösungsvorschläge auszuarbeiten: Adrian Hug erläuterte, welche Anforderungen die Unternehmenssteuer künftig alle erfüllen sollte: international akzeptabel sollte sie sein, den Unternehmen Rechtssicherheit und der Schweiz Wettbewerbsfähigkeit gewähren und, nicht zuletzt, auch noch finanziell ergiebig sein für Bund und Kantone: Gelingt ersteres nicht, drohen der Schweiz Sanktionen wegen unlauteren Steuerwettbewerbs. Misslingt das zweite Ziel, droht der Aderlass als Konzernstandort. Bleiben die Steuereinnahmen aus, müssen die privaten Haushalte mit höheren Steuern und Abgaben in die Bresche springen. Lösungsansätze in den Verhandlungen mit der EU gehen in  Richtung Lizenz- und eventuell weitergehende Boxen, auch wenn diese mittelfristig ebenfalls unter Beschuss der EU oder der OECD geraten könnten.

Langwieriger politischer Prozess

Bund und Kantone hätten beide ein grosses Interesse daran, rasch eine Lösung im Steuerstreit zu finden und für internationale Gesellschaften attraktiv zu bleiben. Der Bund sei sogar der eigentliche Hauptprofiteur des kantonalen Unternehmenssteuer-Wettbewerbs, da er keine Sonderregelungen gewähre, ergänzte Marco Salvi (siehe auch das Avenir-Suisse-Plakat «Taxopoly der Kantone»). Die Kantone müssten nach individuellen Lösungen suchen, wie sie die vom Wegfall der Sondersteuer betroffenen Unternehmen entlasten könnten – etwa durch eine Senkung des Gewinnsteuersatzes. Adrian Hug hat Verständnis dafür, dass die Kantone ihrerseits auf eine möglichst grosse Unterstützung durch den Bund zählen. Doch jede steuerliche Entlastung der Unternehmen schränkt Entlastungen bei den privaten Haushalten ein. Da die Abschaffung der Steuerregime in den Kantonen eine Gesetzesänderung mit möglichem Referendum bedinge, werde es eine grosse Herausforderung sein, wie man diese Abstimmungen gewinnen könne. Bisher habe die Diskussion weitgehend ohne das Volk zwischen EU/G20, Bund und Kantonen stattgefunden. Daher komme auf Bund und Kantone noch ein grosses Stück Kommunikationsarbeit zu: «Wäre die Abstimmung heute, würden wir sie nicht gewinnen», meinte Hug. Ohnehin werde es schwierig werden, den langwierigen politischen Prozess im Inland mit dem forschen Tempo im Ausland  in Einklang zu bringen.

Bleibt überhaupt Spielraum?

Es handelt sich um reine Machtpolitik der grossen Staaten: darüber waren sich Hug und Kuhn einig. Und klar scheint auch: Die EU wird es nicht tolerieren, dass die Schweiz als einziges Land in ihrer Mitte sehr weitgehende Sonderregelungen für die Besteuerung hochmobiler Konzernzentralen aufrechterhält. Das wäre, «wie wenn man die Schweiz in der Champions League ohne Offside-Regel spielen liesse», zog Stephan Kuhn einen Vergleich zu den international anerkannten Fussball-Regeln. Steuerwettbewerb werde zunehmend als unlauter aufgefasst, und sogar anerkannte Doppelbesteuerungsabkommen würden von vielen Staaten als «Doppelnichtbesteuerungsabkommen» verpönt, womit auch dieser Weg in einer Sackgasse ende.

Ob das denn nun das Ende des Steuerwettbewerbes bedeute, wollte Gerhard Schwarz von den Teilnehmern wissen. International gehe die Tendenz in Richtung «globale Steuerregime», doch stelle sich die Frage, wer dazu legitimiert sei, diese zu definieren. Adrian Hug glaubt, dass sich die Gruppe der «Big Players» ausweiten wird. So pochten die BRIC-Staaten auf mehr Mitsprache, aber auch Länder wie zum Beispiel Malaysia oder Indonesien hätten eigene Interessen. Stephan Kuhn sieht vor allem bei der Eigenkapitalbesteuerung noch einen gewissen Spielraum für die Schweiz, aber die Zeiten, in denen sich ein Land aufgrund seines Steuermodells einen Standortvorteil verschaffen konnte, seien vorbei. Sobald es sich steuerlich zu sehr unterscheide, würden die Steuerregeln umgehend angepasst.