Das Parlament berät zur  Zeit die Reform der Ergänzungsleistungen. Dabei fokussiert es sich auf emotionale Themen wie die Einschränkung des Kapitalbezugs. Doch das Sparpotenzial dieser Massnahme ist umstritten und im Vergleich zur erwarteten Kostenexplosion nur marginal. Das Parlament scheut sich hingegen, strukturelle Probleme wie die Verflechtung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen anzupacken. Heute definiert das Bundesgesetz den Umfang der Leistungen. Der Bund beteiligt sich mit 5/8 an ihren Kosten. Die Umsetzung der Bundesvorgaben und die Finanzierung der übrigen Ausgaben obliegen den Kantonen.

Diese Vermischung der Zuständigkeiten verletzt das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz – im Volksmund: «Wer zahlt, befiehlt». Diese ist gegeben, wenn sich der Kreis der Nutzniesser mit demjenigen der Kosten- und Entscheidungsträger deckt. Bei fiskalischer Äquivalenz sind die Anreize der Auftraggeber und Geldgeber gleich gerichtet. Es werden nur Leistungen bestellt, die auch einen dem Preis entsprechenden Nutzen stiften.

Jeder hat schon am eigenen Leib die Konsequenzen einer fehlenden fiskalischen Äquivalenz erlebt. In einer Tischgesellschaft von zwanzig Personen, die im Voraus vereinbart haben, die Ausgaben pro Kopf zu teilen, ist die Versuchung gross, nach dem Dessert einen Kaffee zu bestellen. Jeder weiss, dass er für diese Zusatzleistung, den einen Kaffee, nur einen Zwanzigstel des Preises berappen muss. Umgekehrt wird der Verzicht auf einen Kaffee nur mit einer Einsparung von einem Zwanzigstel belohnt. In dieser Situation denken alle Gäste, dass sie besser fahren, wenn sie einen Kaffee bestellen. Die Gesamtrechnung steigt für alle, obwohl nicht alle einen Kaffee zum «normalen» Preis bestellt hätten.

Fiskalische Äquivalenz, oder: Wer bezahlt den bestellten Kaffee? (Wikimedia Commons)

Vgl. Tabelle: «Zahlt wirklich, wer befiehlt?»

So banal das Konzept, so oft wird die fiskalische Äquivalenz verletzt. Bei individuellen Prämienverbilligungen zum Beispiel muss der Bund den Kantonen einen festen Beitrag in der Höhe von 7,5% der Gesamtausgaben der obligatorischen Krankenversicherungen auszahlen. Doch die Kantone sind für die Gesundheitsversorgung zuständig, der Bund kann kaum auf die Kostenentwicklung Einfluss nehmen.

Nicht nur zwischen Bund und Kantonen, sondern auch zwischen den Kantonen und ihren Gemeinden wird oft die fiskalische Äquivalenz nicht eingehalten, zum Beispiel im Bereich der Alterspflege. Hier ist es wichtig, dass der Auftraggeber (der Kanton oder die Gemeinde) auch die Kosten für die bestellten Pflegeleistungen trägt. Teilt eine Gemeinde die Kosten eines Pflegeheimausbaus mit dem Kanton (zum Beispiel unter einer 50:50-Regel), läuft man Gefahr, dass der Ausbau überdimensioniert wird. Aus Sicht der Gemeinde können 16 statt 8 zusätzliche Betten für den gleichen Preis gebaut werden. Aus Sicht des Kantons lohnt sich ein Streit über Lohnverhandlungen mit dem Heimpersonal wenig, weil er nur die Hälfte der möglichen Kostenersparnisse für andere Projekte verwenden kann. Am Schluss steigen jedoch für alle Bürger die Pflegekosten, die sie via kommunale und kantonale Steuern oder via Krankenkassenprämien zahlen.

Die fiskalische Äquivalenz ist also nicht nur ein vages Konzept für Nationalökonomen. Wie die Beispiele zeigen, kann ihre Einhaltung auf Stufe Bund, Kantone oder Gemeinde die Entwicklung der Leistungsangebote und der resultierenden Kosten unserer sozialen Sicherheit stark beeinflussen. Es ist zu hoffen, dass das Parlament dies erkennt und die Reform der Ergänzungsleistungen in diesem Sinne steuert.

Dieser Artikel ist in der September-Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Versicherung» erschienen. Weiterführende Informationen finden Sie in der Studie «Neue Massstäbe für die Alterspflege».