Die Schweiz und Schweden haben eine lange Historie der Verwechslungen. Das liegt in erster Linie am Namen – aber auch an ein paar anderen Eigenheiten, die die beiden Länder teilen. Eine weitere ist kürzlich hinzukommen: Die Corona-Politik. Den Weg, den Schweden im Frühjahr ging, hat die Schweiz im Herbst eingeschlagen. Während rundherum Länder einen neuerlichen (Teil-) Lockdown angeordnet haben – die meisten davon mit deutlich geringeren Fallzahlen (Deutschland z.B. mit etwa 20 täglichen Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner) – verzichtet der schweizerische Bundesrat (bei zwischenzeitlich über 90 täglichen Neuinfektionen/100’000 Einwohner) bisher auf einen Lockdown auf eidgenössischer Ebene. Er hofft, die Ausbreitung des Virus ohne derart harte und teure Einschränkungen in den Griff zu bekommen.

Das ist mutig. Spitalüberlastungen, die dazu führen, dass behandlungswillige Patienten abgewiesen werden müssen, kann sich keine Regierung eines entwickelten Staates leisten. Mitunter deshalb gehen viele Länder sehr vorsichtig mit Covid um. Mit einem Lockdown können sie ihre Wirkungsmacht eindrücklich unter Beweis stellen, ohne gehen sie das Risiko ein, für vermeidbare Todesfälle am Pranger zu stehen. Nüchterne Verhältnismässigkeits-Abwägungen – wie viele Menschen sollen wie lange «eingesperrt» werden, um wie viele Lebensjahre zu retten – haben deshalb einen schweren Stand.

Entspannung in Sicht

Mit der No-Lockdown-Politik ging der Bundesrat sozusagen eine Wette ein. Nämlich, dass es gelingt, eine Überlastung der Spitalkapazitäten auch ohne schweizweiten Lockdown zu verhindern. Er vertraute damit auch auf das Verhalten der Schweizer Bevölkerung. Genau gesagt darauf, dass diese sich in genügendem Mass an die schon verordneten Massnahmen hält.

Alles deutet derzeit daraufhin, dass der Bundesrat diese Wette – zum Wohle aller – gewonnen hat:

Für einen gesamtschweizerischen harten Lockdown gibt es zurzeit wenig Argumente. (Markus Winkler, Unsplash)

Neue Forderungen der Covid-Taskforce

Dass nun die Covid-Taskforce am Freitag trotz dieser Zahlen eine weitere deutliche Verschärfung der Massnahmen empfohlen hat, ist gelinde gesagt verblüffend. Die Vorschläge: Schliessung von Restaurants, Bars, Sporthallen, Theater, Museen und Konzerthallen; Beschränkung privater Zusammenkünfte auf maximal zwei Haushalte; Massnahmen zur wesentlichen Erhöhung des Homeoffice-Anteils; Kontakte sollen generell auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Diese Massnahmen kämen einem Teil-Lockdown gleich. Re soll damit unter 0,8 gesenkt werden, mit dem Ziel, die Zahl der Neuansteckungen innert 8 Wochen auf unter 500 zu senken.

Nun ist gegen eine solche beschleunigte Senkung der Infektionszahlen grundsätzlich natürlich nichts einzuwenden – sofern sie auch ohne derart fundamentale Einschränkungen des öffentlichen Lebens erreichbar wäre. Das wäre z.B. möglich über Schnelltests, die jeder selber ohne medizinische Mithilfe durchführen könnte. Insofern ist es erstaunlich, dass weltweit nicht mindestens so viele finanzielle Ressourcen in die Entwicklung derartiger Schnelltests flossen wie in die Findung eines Impfstoffes. Mit einem Schnelltest, der z.B. ähnlich durchführbar wäre wie ein Schwangerschaftstest, könne das Virus innert weniger Monate so gut wie ausgelöscht werden. Jeder würde sich zu Beginn einmal pro Woche testen und sich bei positivem Resultat in Isolation begeben. Sobald die Fallzahlen nur noch sehr gering wären, würde in etwa ein Test pro Monat reichen.

Eine schnellere Senkung mit den von der Taskforce beschriebenen Massnahmen zieht dagegen erhebliche gesellschaftliche Kosten nach sich. Permanentes Homeoffice zehrt an den Nerven vieler. Die Möglichkeit, weiterhin Restaurants oder Kultureinrichtungen zu besuchen, erlaubt der Bevölkerung, ein gewisses Gefühl der Normalität aufrechtzuerhalten. Gerade in dieser Zeit der kürzer werdenden Tage dürften härtere Einschränkungen zu einer höheren psychischen Belastung führen als im Frühling, als die Tage länger wurden, der Sommer nahte, und ohnehin viele dieser neuen Situation erstmal eher neugierig als ablehnend gegenüberstanden. Die Stimmung heute ist fundamental anders.

Keine weiteren Einschränkungen auf Bundesebene

Darum sollten signifikante weitere Einschränkungen des öffentlichen Lebens nur im äussersten Notfall beschlossen werden. Und dieser Notfall scheint derzeit abgewendet, wie die oben zitierten Zahlen zeigen. Befremdlich wirkt auch die Aussage der Taskforce (NZZ vom 17. November), abzuwarten, ob die bestehenden Massnahme voll greifen, sei keine Option. Das stimmt in einer Situation mit schnell steigenden Fallzahlen, wie wir sie im Oktober beobachteten. Da ist Abwarten tatsächlich keine gute Idee, denn eine verspätete Reaktion könnte wegen der zeitlich nachgelagerten Auslastung der Spitalkapazitäten nicht mehr garantieren, dass das Schlimmste verhindert werden kann. In der jetzigen Lage, die auf eine Entspannung hindeutet, hat man hingegen durchaus genug Zeit, in Ruhe zu schauen, ob diese Entspannung schnell genug vonstattengeht.

Und nicht zuletzt ist hier auch auf die föderale Struktur der Schweiz und regionale Unterschiede in der Verbreitung des Virus hinzuweisen. Einzig die Kantone Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Uri und Obwalden weisen noch steigende Fallzahlen auf. In Basel-Landschaft und fast der gesamten Zentralschweiz liegt die Spitalauslastung aber deutlich unter dem Durchschnitt. Hier besteht also noch Zeit für eine Reaktion auf kantonaler Ebene, sollte dort nicht auch bald eine Trendwende einsetzen. Unter den sieben Kantonen mit dem stärksten Rückgang der Neuinfektionen (zwischen 25% und 43% gegenüber der Vorwoche) finden sich alle Westschweizer Kantone. Einige von ihnen haben ohnehin schon selber strengere Massnahmen (wie z.B. die Schliessung von Restaurants, Bars und Geschäften) angeordnet. Angesichts dieser Unterschiede wäre es noch viel weniger verhältnismässig, auf Bundesebene nun plötzlich doch noch allen Kantonen maximale Einschränkungen aufzuerlegen. Die Schweiz ist ein Land, das den Föderalismus lebt und ihn nicht bloss in ihrem Namen – Confederatio Helvetica – trägt. Sie sollte diesem Ideal weiter folgen – auch in Zeiten von Covid-19.