Nach der atomaren Katastrophe in Japan scheint es auch in der Schweiz weniger wahrscheinlich, dass neue Kernkraftwerke an der Urne gutgeheissen werden. Es ist deshalb naheliegend, sich über einen «Plan B» Gedanken zu machen. Politiker und Stromversorger verweisen häufig auf Gaskraftwerke als nächstbeste Strategie. Doch welche Vor- und Nachteile haben Gaskraftwerke im schweizerischen Kontext? Ein offensichtlicher Nachteil ist ihr CO2-Ausstoss. Diesen aber klammern wir aus der folgenden Analyse aus – immerhin wäre es ja möglich, dass die politisch geforderte CO2-Inlandkompensation bei einer etwas grosszügigen Auslegung die Anrechnung europäischer Emissionszertifikate zulässt. In diesem Fall wären Schweizer Gaskraftwerke etwa ihren Konkurrenten aus den Nachbarländern gleichgestellt. Neben der Klimapolitik interessieren vor allem die Auswirkungen auf Strompreise sowie Versorgungssicherheit.
Höhere Preise nicht auszuschliessen
Um den Effekt auf die Strompreise festzustellen, ist es wichtig zu wissen, dass sich im liberalisierten Markt die Stromendkundenpreise immer konsequenter am Grosshandel orientieren. Und weil Strom einfach über die Landesgrenzen handelbar ist, orientiert sich der Schweizer Grosshandelspreis bereits heute an jenen der Nachbarländer, wo vor allem fossile Kraftwerke den Strom produzieren. Im Sommer, wenn die Schweiz selbst Strom exportiert, liegt der Schweizer Preis auf dem relativ tiefen Niveau Deutschlands. Wenn hingegen im Winter Strom importiert wird, steigt der Preis auf das etwas höhere italienische Niveau. Dass die italienischen Strompreise über jenen im Norden liegen, hängt nicht zuletzt mit dem etwas teureren Gas zusammen.
Das heisst: Bereits heute wird der Strompreis in der Schweiz durch die – variablen – Kosten von Kohle- und vor allem Gaskraftwerken im Ausland bestimmt. Würden nun Gaskraftwerke in der Schweiz die Kernkraftwerke ersetzen, änderte vorerst wenig am Preis im Schweizer Grosshandel, denn es sind ohnehin die Gaskraftwerke, welche üblicherweise den Preis bestimmen. Mit der steigenden Gasnachfrage könnte aber auch das Gas in der Schweiz teurer werden, was wiederum die Stromproduktion im Inland kostspieliger macht. Dann dürfte der Strompreis sich während des ganzen Jahres auf dem italienischen Niveau einpendeln. Ein ähnliches Marktgleichgewicht würde sich übrigens einstellen, wenn die Schweiz statt auf Gaskraftwerke vermehrt auf Importe setzte.
Eine Pipeline für das ganze Land
Wie vorteilhaft sind Gaskraftwerke hinsichtlich der Versorgungssicherheit? Natürlich spielt dabei vor allem die Verfügbarkeit von Gas eine zentrale Rolle – Europa kann ein Lied davon singen. Trotz des Booms beim unkonventionellen Gas (v.a. in Nordamerika) ist der Kontinent nach wie vor ganz wesentlich von russischen Lieferungen sowie einer Hand voll Pipelines abhängig. Und für die Schweiz sind die spezifischen Risiken der Gasversorgung noch ausgeprägter. Einerseits existieren im Inland keine strategischen Erdgaslager. Anderseits wird Gas grösstenteils über eine einzige Pipeline in die Schweiz importiert. Die Leitung war im letzten Jahr während mehrerer Monate wegen Murgängen im Spreitlauigraben im Kanton Bern unterbrochen. Während die Versorgung der Schweiz garantiert blieb, waren «nur» die Transite nach Italien beeinträchtigt. Das aber heisst, dass Gaskraftwerke in der Schweiz nur dann Versorgungssicherheit schaffen, wenn gleichzeitig die Gasversorgung sicherer wird, etwa durch den Bau neuer Infrastrukturen, welche diversifiziertere Importrouten oder die Gaslagerung möglich machen. Mindestens aber bräuchte die Schweiz ein Abkommen mit der EU, damit sie im Falle von Versorgungsengpässen nicht benachteiligt würde und bei allfälligen Mechanismen zur Krisenvorsorge berücksichtigt würde.
Die Position als Transitland alleine gibt der Schweiz keine besonders starke Stellung, schliesslich verfügt Italien über Gaslager. Aber auch wenn die Schweiz ihre Gasinfrastrukturen ausbaut und ein bilaterales Energieabkommen mit der EU schliesst, bleiben relevante Versorgungsrisiken. Da in ganz Europa vermehrt Gaskraftwerke den Strom produzieren, würde ein Gasversorgungsausfall grossflächige Strom-Versorgungsprobleme schaffen. In diesem Fall könnte die Schweiz weder Strom produzieren noch importieren. Für die Schweiz wäre daher eine Strategie mit einer stärkeren Diversifizierung gegenüber Europa besser.