Am dritten Tag meiner Reise durch die deutsche Energiewende steht ein Besuch des ersten energieautarken Dorfs Feldheim in Brandenburg auf dem Programm. Das Vorzeigeprojekt ist interessant, doch hege ich Zweifel am Sinn der Energieautarkie.
Das Schwärmen für Energieautarkie, also die Unabhängigkeit von der Energiezufuhr von «Aussen», ist ein verbreitetes Phänomen. Ein Blick in die Energiegeschichte zeigt, dass jeder US-Präsident seit Richard Nixon die Unabhängigkeit von Energieimporten als politisch besonders relevantes Ziel definiert hat. Bisher gelang es noch keiner Regierung, das Ziel umzusetzen – doch zugegeben, das könnte sich nun durch den Boom bei den unkonventionellen Ressourcen in den nächsten Jahren grundlegend ändern. Das Thema Energieautarkie ist jedenfalls nicht unbedingt mit irgendeiner Form der Energiewende verknüpft. Im Gegenteil: Die Unabhängigkeitsziele werden häufig auch von jenen politischen Kreisen ins Spiel gebracht, die mit erneuerbaren Energien wenig am Hut haben. Sie argumentieren dann eher, dass konventionelle Grosskraftwerke nötig seien, um nicht von Importen abhängig zu sein. Dieses Argument kennen wir auch in der Schweiz. Häufig wird dann noch behauptet, dass Energieautarkie für die inländischen Verbraucher günstiger sei – da man andernfalls für die Importe einen höheren Preis bezahlen müsse. Das Argument ist nicht überzeugend, jedenfalls solange man an die ökonomischen Vorteile des Handels glaubt.
Wenig spricht dagegen, dass solche Handelsvorteile auch bei der Energie und insbesondere beim Strom existieren – unabhängig davon, ob viel oder wenig erneuerbare Energie durch die Leitungen fliesst. Schliesslich hängen die Kosten der Strombereitstellung in der Regel von standortspezifischen Faktoren ab. Das gilt bei den erneuerbaren Energien, wo die lokale Verfügbarkeit von Wasser, Wind oder Sonnenstunden die Kosten einer Technologie massgeblich bestimmen, aber auch bei den fossilen Anlagen, wo die regionalen Gaspreise oder die Distanz zu den Kohlevorkommen (respektive im Falle der importierten Steinkohle die Distanz zu einem Meerhafen) die Produktionskosten entscheidend beeinflussen.
Ein effizientes Energieversorgungssystem setzt Handel (und damit auch Netzverbindungen) voraus, um die regionalen Kostenvorteile optimal zu nutzen und die unterschiedliche Verfügbarkeit der Technologien auszugleichen. Für ein kleines Land wie die Schweiz gilt das übrigens ganz besonders. Beispielsweise müsste eine autarke Stromversorgung über immense Kraftwerksreserven verfügen, um die natürlichen Schwankungen der Wasserkraftproduktion oder den Ausfall von Grossanlagen kompensieren zu können. Von einer umfassenden autarken Energieversorgung – also inklusive fossile Energien bei Transport und Wärme – brauchen wir gar nicht erst zu sprechen.
Aber zurück zur deutschen Energiewende. Auch dort wird mit den vermeintlichen Vorteilen der Energieautarkie argumentiert. Nun aber sind es eben nicht die Grosskraftwerke, sondern die kleinen, dezentralen Anlagen, die Unabhängigkeit möglich machen sollen. Das erste deutsche energieautarke Dorf Feldheim in Brandenburg wird als eine Art Vorzeigeprojekt dargestellt. Etwa so könnte sich die Energieautarkie anfühlen: Eigene Windräder (sogenannte Bürgerwindräder), Agrargenossenschaft mit Biogasanlage zur Stromerzeugung, Nutzung der Abwärme über ein Wärmenetz, Holzschnitzelanlage für besonders kalte Wintertage. Ziemlich viel Infrastruktur für etwa 120 Einwohner. Die Energiewende ist in diesem Kontext nicht nur technisch-ökonomisch zu verstehen, sondern eher als eine Art Lebensgefühl. Energiewende als Genossenschaft. Da will man sich nicht von den Grossen Unternehmen im In- und Ausland dreinreden lassen. Autarkie gehört dann zum Konzept. Ob das ökonomisch sinnvoll und technisch möglich ist oder nicht, ist eine ganz andere Frage. Tatsächlich ist das kleine Dörfchen Feldheim nicht ganz so autark, wie es verkauft wird. Schliesslich ist es nach wie vor noch am grossen, übergeordneten Stromnetz angebunden – wegen der Versorgungssicherheit, aber auch wegen des Verkaufs von temporären Stromproduktionsüberschüssen. Handel lohnt sich eben doch, auch im energieautarken Dorf.
Auf Einladung des Auswärtigen Amtes reiste Urs Meister, Projektleiter und Mitglied des Kaders von Avenir Suisse, während fünf Tagen durch die deutsche Energiewende. In einer kleinen Blog-Serie berichtet er über seine Eindrücke.
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