Diskussionen über die Inflation sind bis vor kurzem einer Trockenübung gleichgekommen. Schliesslich blieben die Inflationsraten in entwickelten Ländern über Jahre auf einem niedrigen Niveau stabil – das heisst: Ein vorbestimmter Warenkorb von Gütern und Dienstleistungen des alltäglichen Gebrauchs ist nur unmerklich teurer geworden.

Doch dieser Tage hört man plötzlich von Inflationsraten von um die 3% in der Eurozone und 5% in den USA. Das wirft unweigerlich die Frage auf: Bleibt die Inflation erhöht, oder steigt sie gar noch?

Nun macht bekanntlich eine Schwalbe noch keinen Sommer, und so müssen die höheren Inflationsraten nicht das Ende eines stabilen Preisniveaus bedeuten. Die derzeit gemeldete Inflation an sich ist nicht aussergewöhnlich. Auch 2008 bewegte sie sich in dieser Grössenordnung. Zudem wurde die jüngste Preissteigerung unter anderem wegen Basiseffekten erwartet: Vor zwölf Monaten waren die Preise aufgrund allgegenwärtiger Lockdowns unter Druck, und auf dieser Basis wird die Inflation heute kalkuliert.

Gerade Lockdowns zeigen: Geldpolitik allein erklärt mitnichten die Inflationsentwicklung. Dementsprechend führen auch Störungen der Wertschöpfungsketten derzeit zu höheren Preisen. Diese können kurzfristiger Natur sein, etwa wenn Häfen wegen Covid-19-Ausbrüchen geschlossen werden. Aber sie können auch länger anhalten, sollten sich beispielsweise die Spannungen zwischen den USA und China verschärfen – apropos China: Hier gilt es, den Immobilienmarkt im Auge zu behalten, denn ein Abklingen der Bautätigkeit im Reich der Mitte dürfte einen unmittelbar dämpfenden Effekt auf die Rohstoffpreise ausüben.

Wird der Warenkorb an Gütern und Dienstleistungen bald nachhaltig teurer? (Maria Lin Kim, Unsplash)

Ob rauf oder runter, die mittelfristige Prognose der Inflation gleicht somit dem Blick in eine Kristallkugel. Wird der Fokus auf die lange Frist gerichtet, deuten hingegen verschiedene strukturelle Faktoren auf höhere Inflation. Erstens scheinen sich preisdämpfende realwirtschaftliche Entwicklungen abzuschwächen oder gar umzukehren (Stichworte sind Demografie, Globalisierung und teilweise Digitalisierung). Zweitens, und wohl bedeutender, sind auch die monetären Voraussetzungen für ein steigendes Preisniveau gegeben.

So ist den vergangenen Jahrzehnten die Verschuldung von Firmen und Staaten stark gestiegen – und zwar nicht nur absolut, sondern auch relativ zur Wirtschaftsleistung. In der Folge dürfte sich zunehmend die Situation einer «fiskalischen Dominanz» einstellen. Mit diesem Begriff bezeichnen Ökonomen eine Konstellation, in der die Geldpolitik wegen hoher Schulden nicht mehr konsequent gestrafft werden kann. Die Logik dahinter lautet wie folgt:

Mit einer restriktiven Geldpolitik wird zugewartet, weil damit höhere Zinsen einhergehen. Das führt zu einem höheren Schuldendienst, was hochverschuldete Firmen und Staaten, und folglich die Wirtschaftsaktivität, belastet. Da gleichzeitig unerwartete Inflation die effektive Schuldenlast reduziert, haben die Zentralbanken einen zusätzlichen Anreiz, die Zügel locker zu lassen.

Die hohen Schuldenstände drohen somit, eine allfällige Inflationsbekämpfung im Keim zu ersticken. Dessen ungeachtet haben kürzlich die Zentralbanken von Südkorea, Tschechien und Ungarn mit einer geldpolitischen Straffung begonnen. Aber gerade in den beiden bedeutenden Volkswirtschaften, den USA und der Eurozone, weist die jüngst beschlossene Aufweichung des Inflationsziels darauf hin, dass die Mechanismen der fiskalischen Dominanz durchaus am Werk sind. Die Inflation scheint dort nicht nur gekommen, um zu bleiben, sondern offiziell eingeladen, sich breit zu machen. Womit sich abschliessend die Frage stellt, wie man den geladenen Gast dann wieder loskriegt, sollte sich sein Verhalten plötzlich als unerwünscht erweisen.

Dieser Beitrag ist in den «Schaffhauser Nachrichten» erschienen.