Die Europäische Zentralbank, aber auch die Schweizerische Nationalbank sind wegen ihrer vermeintlich allzu grossen Unabhängigkeit in die Kritik geraten. Die Ära unabhängiger Notenbanken ist in Europa noch relativ jung. Sie begann nach dem Ende des 2. Weltkrieges, als die USA dem inflationsgeplagten Deutschland eine unabhängige Bundesbank aufoktroyierten, der die Sicherung der Währung und die Stabilität des Geldes obliegen sollte. Diese Idee wurde von den Deutschen nach Rainer Hank, dem Chef der Wirtschaftsredaktion der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», rasch als eigene Idee eingemeindet und sollte später bei der Errichtung der EZB als Vorbild dienen. Der Glaube schien unerschütterlich, dass ein mit einem klaren Mandat versehenes unabhängiges Gremium von Geldexperten die für die Volkswirtschaft besten geldpolitischen Entscheide treffen würde – im Unterschied zu interessengeleiteten und auf Wählerstimmen schielenden Politiker.

In der Schweiz spielte die Frage der Unabhängigkeit der SNB erst relativ spät eine Rolle. Ihre Hauptaufgabe war gemäss Nationalbankgesetz von 1905, für eine den Bedürfnissen des Handels angepasste Ausstattung der Wirtschaft mit Banknoten und für einen geordneten Zahlungsverkehr zu sorgen. Eine eigentliche geldpolitische Rolle im modernen Sinn spielte die SNB im damaligen Währungssystem mit freier Konvertibilität der Banknoten in Metallgeld nicht (vgl. Baltensperger: Der Schweizer Franken. Eine Erfolgsgeschichte). Erst mit dem Übergang von festen zu flexiblen Wechselkursen 1973 und damit zu einer Politik der monetären Autonomie rückte die Frage der Unabhängigkeit der SNB in den politischen Fokus. Konkretisiert wurde sie schliesslich mit dem Nationalbankgesetz vom 1. Mai 2004.

Repolitisierung der Geldpolitik

Das geldpolitische Mandat, auf dem die Unabhängigkeit einer Notenbank basiert, kann eng oder weit interpretiert werden, wie vor allem die Entscheidungen der EZB seit dem Ausbruch der Finanzkrise 2007 zeigen. Deshalb ist das Konzept einer von Politik und Parlament unabhängigen Zentralbank, die gleichsam als wohlwollender Diktator operiert, in Teilen von Politik und Wissenschaft auch nicht unumstritten. So ist die EZB vor allem in Deutschland mittlerweile fast von allen Seiten unter Beschuss geraten. Sie würde – so die Vorwürfe – ihr Mandat mit der unkonventionellen Geldpolitik überdehnen, eine politisch nicht legitimierte Umverteilungspolitik betreiben und ihre Privilegien missbrauchen. Selbst die besonnene «Frankfurter Allgemeine Zeitung» hielt unlängst fest, dass die lange Zeit zum Tabu erklärte Unabhängigkeit der EZB nicht frei von Risiken und Nebenwirkungen sei Dabei zitierte sie mit Walter Eucken ausgerechnet eine Lichtgestalt der Freiburger Schule als Kronzeugen, würden doch auch Experten nicht frei von Interessen, falschen Theorien oder, noch schlimmer, der eigenen Unkenntnis sein. Deshalb dürfe den Leitern der Geldpolitik nicht freie Hand gelassen werden.

Es gibt keinen Grund, um an der Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank zu rütteln. (Wikimedia Commons)

Es gibt keinen Grund, um an der Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank zu rütteln. (Bild Wikimedia Commons)

Auch in der Schweiz sind im Zusammenhang mit der Aufgabe des Mindestkurses des Frankens gegenüber dem Euro vor allem von linker Seite Stimmen laut geworden, die die Machtfülle der SNB kritisieren. Es würden von einer nichtgewählten Führungselite ohne demokratische Legitimation Entscheide von grösster volkswirtschaftlicher Tragweite getroffen. Die Selbstbindung von Politik und Parlament, die mit der Übertragung der Geldpolitik an die unabhängige Notenbank erfolgt sei, müsse korrigiert werden. Was ist von diesen Forderungen zu halten?

Grosse Unterschiede zwischen SNB und EZB

Dank der Unabhängigkeit der SNB war die Geldpolitik bisher der solideste und verlässlichste Pfeiler der schweizerischen Wirtschaftspolitik, und daran sollte nicht leichtfertig und unüberlegt gerüttelt werden. Das duale Mandat der SNB mit der Geldwertstabilität als Hauptziel und der Unterstützung der Konjunktur als sekundäre Aufgabe – soweit mit dem primären Ziel vereinbar – ist klar und belässt dem Noteninstitut den nötigen Spielraum. Im Unterschied zur EZB hat die SNB die Preisstabilität stets längerfristig interpretiert, und sie hat sich nie auf ein Inflationsziel innerhalb von ein oder zwei Jahren versteift.

Aber auch das geldpolitische Mandat der SNB ist natürlich nicht in Stein gemeisselt. Neue Politikfelder sind im Verlauf der jüngsten Finanz- und Staatsschuldenkrise aufgetaucht. Für die Schweiz bedeutsam sind vor allem die Finanzstabilität und die Notenbankbilanzanalyse. Dabei kommt der makroprudenziellen Regulierung und Überwachung (antizyklischer Kapitalpuffer, Beleihungsquoten, Einschränkung von Kreditgeschäften) heute eine wesentlich grössere Bedeutung zu. Die makroprudenziellen Massnahmen ergänzen bzw. ersetzen den Zins als Stabilisierungsinstrument in einem Tiefstzinsumfeld und haben überdies den Vorteil, dass sie sich nicht auf das ganze Finanzsystem, sondern gezielt auswirken. In diesem Zusammenhang plädiert Avenir Suisse allerdings für eine noch klarere Arbeitsteilung zwischen makro- und mikroprudenzieller Regulierung, als sie heute besteht. Erstere sollte in der ausschliesslichen Kompetenz der SNB sein, letztere gehört in den alleinigen Zuständigkeitsbereich der Finma. Die Notenbankbilanzanalyse ist vor allem im Zusammenhang mit dem Wachstum der Bilanzsumme der SNB hinzugekommen.

Je enger das Mandat, desto besser

Die Grundlage der operativen Unabhängigkeit der SNB ist ihre Glaubwürdigkeit. Dies setzt ein enges Mandat mit klaren Zielen und einer transparenten Rechenschaftspflicht voraus. Je mehr Aufgaben aber von einer Notenbank übernommen bzw. erwartet werden, weil der Staat seine Aufgaben in der Finanz- und Reformpolitik nicht anpacken will, desto grösser ist die Gefahr einer Überfrachtung der Geldpolitik. Diese Entwicklung lässt sich bei der EZB eindrücklich beobachten. War das Mandat anfänglich eng auf die Preisstabilität begrenzt, kamen im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise die Finanzstabilität, der Zusammenhalt der Eurozone, die Bankenaufsicht und politische Aufgaben wie die Troika hinzu. Parallel dazu ist der politische Druck auf die EZB laufend gestiegen.

Es gilt unvermindert das, was Avenir Suisse in seinem Ideenbuch festgehalten hat: SNB und Finma verwalten mit der Geldwert- und Finanzstabilität zentrale öffentliche Güter, weshalb ihre Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit entscheidend sind. Für die Schweiz besteht kein Grund, an der Unabhängigkeit der SNB zu rütteln und mit einer Politisierung der Geldpolitik das Vertrauenskapital des Noteninstituts leichtfertig aufs Spiel zu setzen.