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Gefragt nach dem Alter einer Frau, kann ein Mann nur ins Fettnäpfchen treten. Schätzt er es zu hoch, ist seine Antwort eine Beleidigung, liegt er zu tief, eine Notlüge. Fragt man die Dame, antwortet sie nicht selten «so jung wie ich mich fühle». Hinter dieser Anekdote steckt mehr als die Verlegenheit unserer Gesellschaft im Bezug auf das Älterwerden. Sie zeigt auch, dass im sogenannten Generationenkonflikt das Alter ein schlechtes Abgrenzungskriterium zwischen den Parteien ist.

Ereignisse und nicht das Alter bestimmen unser Leben

Die Beziehungen zwischen Jung und Alt sind komplex und sie zeichnen sich durch wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse aus. Kinder erhalten in der ersten Lebensphase finanzielle und emotionelle Zuwendungen von ihren Eltern und Grosseltern, die ihr ganzes Leben prägen werden. Bildung und Wertevorstellungen, letztlich auch das Einkommen, hängen sehr stark vom familiären Umfeld ab. Während Menschen in der Erwerbsphase die finanzielle Last der Altersvorsorge massgeblich tragen, erhalten sie oft Unterstützung der Grosseltern bei der Erziehung der eigenen Kinder. Und es sind auch vor allem Jungrentner, die sich um betagte Verwandte und Nachbarn kümmern und vielleicht von ihnen Kapital erben. Fazit: Es sind punktuelle Lebensereignisse, die die finanziellen und nicht-finanziellen Flüsse der Generationensolidarität prägen, während das exakte Alter der Beteiligten nur eine zweitrangige Rolle spielt.

Jeder will alt werden, keiner will alt sein

Objektiv betrachtet definiert zwar das Geburtsdatum das biometrische Alter eindeutig. Mit steigendem Alter führen jedoch unterschiedliche berufliche Werdegänge, Lebensstile und Schicksale zu grossen Diskrepanzen bei den geistigen und physischen Fähigkeiten. Jeder kennt ihn, den 62-Jährigen mit weissen Haaren, fragilem Gang und zittriger Stimme, der eigentlich schon längsten den Ruhestand verdient hätte. Jeder kennt sie aber auch, die vife 78-Jährige, die mit Tonus und Beweglichkeit das Senioren-Turnen leitet. Lebensversicherer bekunden deshalb Mühe, eine Police für Hochaltrige auszustellen – zu gross sind die Unterschiede zwischen den Individuen, und zu schnell kann sich der Gesundheitszustand eines Versicherten drastisch ändern.

Subjektiv betrachtet ist das Alter ein sehr relativer Begriff. Gemäss Univox-Erhebungen finden über die Hälfte der 18- bis 39-Jährigen eine Frau zwischen 60 und 69 alt (Abbildung). Wer also am Anfang seiner beruflichen Karriere steht, betrachtet eine Person in der Nähe des Rentenalters als alt. Ganz anders sehen das die Rentner. Für sie hängt das hohe Alter weniger vom Erwerbsstatus sondern viel mehr von der Mobilität und dem Gesundheitszustand ab. Die Grenze wird deshalb von Rentnern eher über 70 Jahren angegeben (Abbildung).

Auch kulturelle Aspekte führen zu unterschiedlichen Einschätzungen. Nur 29% der Romands bezeichnen eine Frau vor ihrem 70. Geburtstag als alt, während 42% der Deutschschweizer das tun. Eine Umfrage der EU-Kommission macht diese kulturellen Unterschiede auch im internationalen Vergleich sehr deutlich. Innerhalb der EU verteilen sich die Antworten über mehr als zwölf Jahre. Am «spätesten» wird man demnach in Holland alt, und zwar mit 70,4 Jahren, während ein Slowake bereits mit 57,7 Jahren als alt gilt.

Diese Einschätzungen spiegeln auch den medizinischen Fortschritt. Heute geniessen Rentner im Durchschnitt zwei beschwerdefreie Jahre mehr als noch vor zwanzig Jahren. Nicht überraschend hat sich in der Schweiz die «Alterskurve» zwischen 1995 und 2004 um fast zehn Jahre verschoben (Abbildung). Die längere Lebenserwartung der Frauen – und vielleicht eine Prise Koketterie – kann auch erklären, warum sie sich in der EU im Schnitt eher später (mit 65,0) als alt betrachten, während sich Männer es bereits mit 62,7 Jahren tun.

Keine klar identifizierbare Konfliktparteien

Die Grenzen zwischen Jung und Alt sind also diffus und hängen stark von der Perspektive und der persönlichen Situation ab. Je nach Lebensstadium kann die Solidarität zwischen den Generationen Opfer verlangen, Unterstützung bringen – oder beides. Das Alter alleine reicht bei weitem nicht, um dieses komplexe Wechselspiel abzubilden. Deshalb ist ein Ausbruch des heraufbeschworenen Generationenkonflikts kaum zu erwarten, eben so wenig Demonstrationen von “Jung“ gegen „ Alt“ auf dem Bundesplatz.

Das bedeutet allerdings nicht, dass bei politischen Entscheiden die Interessen künftiger Generationen immer angemessen berücksichtigt werden – man denke etwa an die Reformblockade in der Altersvorsorge. Trotz erhöhter Partizipation älterer Bürger an Abstimmungen ist trotzdem keine systematische Übervorteilung dieser Altersgruppe festzustellen. Zum Glück! Es zeigt auch, wie subtil, komplex und differenziert die Beziehungen zwischen den Generationen sein können.

Jérôme Cosandey arbeitet zurzeit an einem Buch über den Generationenvertrag, das 2014 publiziert werden soll. Kommentare und Inputs sind herzlich willkommen.