Mit seinem Lieblingsthema, der Freiheit, begann Gerhard Schwarz seine Ansprache vor der zum 1. August versammelten Festgemeinde in Oberrieden. Denn gerade in Krisenzeiten sei die Freiheit immer besonders gefährdet. Dabei zeichne nichts die Schweiz so sehr aus wie die Tatsache, dass die Bürgerinnen und Bürger in einem Ausmass über öffentliche Angelegenheiten mitreden und entscheiden können wie in keinem anderen Land der Welt. «Das ist so wertvoll, dass man es gar nicht genug betonen kann. Und man muss wirklich alles tun, um es in seiner Substanz zu erhalten.»

Aber bei aller Bejahung der Direkten Demokratie sei der Reformbedarf nicht von der Hand zu weisen, denn auch die Direkte Demokratie gehe kaputt, wenn sie dauerhaft überstrapaziert wird. Schwarz bemängelte, dass Initiativen und Referenden zunehmend auch von  Interessengruppen als Verzögerungsinstrument missbraucht werden: Zwei Drittel der seit 1848 erfolgten Abstimmungen, haben in den letzten 40 Jahren stattgefunden. Und die Zahl der Initiativen stieg von 7 in den 1960er Jahren auf 36 im letzten Jahrzehnt. Das habe vor allem damit zu tun, dass die Unterschriftenzahl für Initiativen (100‘000) und Referenden (50‘000) im Lauf der Zeit nicht angepasst wurde, obwohl die Zahl der Stimmberechtigten aufgrund der Zuwanderung stark gewachsen ist. Brauchte es 1848 für die Einreichung einer Initiative noch die Unterschriften von über 9% der Stimmberechtigten, genügen heute knapp 2%. Beim Referendum sank die Hürde in den letzten 120 Jahren von 4,61% 1891 auf unter 1%.

Gerhard Schwarz am 1. August 2012 in Oberrieden

Gerhard Schwarz am 1. August 2012 in Oberrieden (Foto: Viviane Schwizer)

Eine Erhöhung der benötigten Unterschriftenzahl für die Einreichung von Initiativen und Referenden, meinte Schwarz,  stellte keinen Abbau der Demokratie dar, sondern sie würde die direkte Demokratie in ein besseres Gleichgewicht bringen und die Übersättigung mit Abstimmungen stoppen.

Den Zusammenhalt über eine Reform der Sozialwerke stärken

In der Schweiz war neben der Freiheit immer der Zusammenhalt wichtig, und auch er sei aber zunehmend gefährdet: einerseits durch mangelndes Feingespür bei vielen Exponenten der Wirtschaft, anderseits aber auch durch die populistische Ausschlachtung der Fehltritte einer Minderheit durch die Politik. In der Folge laufe die Schweiz nun Gefahr, unter gut gemeinten Titeln wie Gerechtigkeit oder Solidarität das Land zu Tode zu regulieren, statt es wirtschaftlich zukunftstauglich und zukunftsoffen zu halten. Hier gelte das Prinzip des Paracelsus ganz besonders: «Im Übermass wird alles zum Gift.»

«Die Schweiz sollte das Land sein, in dem Leistung, Innovation und das verantwortungsbewusste Eingehen von Risiken besonders belohnt werden, in dem Ungleichheiten als unvermeidbare Begleiterscheinungen einer offenen und dynamischen Gesellschaft angesehen werden, und in dem unternehmerische Menschen zahlreiche Chancen finden.» Schwarz betonte, dass es gerade in einer ungleichen Gesellschaft Solidarität mit den schwächeren Bevölkerungsgruppen und Regionen brauche: «Aber sie muss bezahlbar sein und darf die wirtschaftliche Dynamik nicht lähmen».

Besonders die Reform der Sozialwerke dürfe deshalb nicht tabu sein. Immer weniger Arbeitnehmer finanzierten die Pensionen von immer mehr Rentnern, und ohne Reformen führe das in die Überschuldung. Die wichtigste Massnahme sei deshalb die Vollkapitalisierung der öffentlich-rechtlichen Pensionskassen. «Es geht nicht an, dass wir heutige Leistungen auf Kosten der nächsten Generation finanzieren.» Weitere dringende Schritte seien eine Schuldenbremse in den Sozialversicherungen  (als selbstdisziplinierendes Instrument für die Politik), ein höheres Rentenalter für Frauen und Männer und die Anpassung der Umwandlungssätze an die deutlich gestiegene Lebenserwartung und die veränderten Realitäten an den Kapitalmärkten.

Offenheit als Teil der Schweizer Identität

Auch die Offenheit nannte der Avenir-Suisse-Direktor als traditionelle Tugend der Schweiz. Das Zusammenleben verschiedener Religionen und Sprachen auf engem, stark gegliederten Raum habe das Verständnis für das Fremde genährt. Durch die Personenfreizügigkeit sei die Situation aber schwieriger geworden, und es sei offensichtlich, dass aufgrund der unkontrollierten Zuwanderung die Probleme, besonders in den Ballungsgebieten, zunehmen. Gegensteuer zu geben, werde schwierig sein, denn die Offenheit sollte nach allen Erfahrungen der Vergangenheit nicht in Frage gestellt werden. Aber dichteres Bauen in den Städten, mehr Marktmieten statt Genossenschaftswohnungen und grössere Kostenwahrheit im Verkehr, nicht nur für den Privatverkehr, sondern auch für den ÖV, könnten die Folgen der Zuwanderung zum Teil auffangen und helfen, dass die traditionelle Offenheit der Schweiz nicht unter die Räder gerät.

Aus Gründen der Identität verteidigte Gerhard Schwarz auch den bilateralen Weg der Schweiz: Die Willensnation Schweiz definiere sich im Gegensatz zu anderen Staaten viel mehr über ihre spezifischen politischen Institutionen weshalb sie mit einem Beitritt fast ihre «raison d’être» aufs Spiel setzen würde. Aber die enge Verflechtung der Schweiz mit der EU mache eine totale Souveränität trotzdem illusorisch. «Der Bilateralismus ist für die Schweiz wie für die EU eine Erfolgsgeschichte, und die Schweiz sollte sich daher nicht als Rosinenpicker diffamieren und in die Ecke drängen lassen.» Längerfristig aber werde die Schweiz um eine Art Rahmenabkommen mit der EU nicht herumkommen – als Mittelweg zwischen Alleingang und Beitritt. «Diese «Semi-Autonomie» ist wertvoller als die Pseudo-Autonomie, die man sich als Kleinstaat von der Mitsprache in einem Gremium von 27 oder mehr erhofft.»

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