Zwar werden erst die Unterschriften gesammelt, aber dennoch entfaltet die laufende Initiative zur Einführung einer eidgenössischen Erbschafts- und Schenkungssteuer bereits heute ihre Wirkungen. Notariate berichten über einen Ansturm von Personen, die noch vor Jahresende Schenkungen vornehmen wollen, um die im Initiativtext vorgesehene Rückwirkungsklausel zu umgehen: Schenkungen sollen nämlich rückwirkend ab dem 1. Januar 2012 dem Nachlass zugerechnet werden. Mit dieser Klausel wollen die Initianten prophylaktische Schenkungen vereiteln. Was ist von diesem Vorgehen zu halten?

Eine Steuer gegen den Rechtsstaat

Die Rückwirkung von Gesetzen ist sowohl ethisch als auch rechtsstaatlich bedenklich.

Grundsätzlich sollte sich jede Person darauf verlassen können, dass ein zum heutigen Zeitpunkt rechtmässiges Handeln später nicht anders beurteilt, vor allem aber nicht nachteilig gegen sie ausgelegt werden kann. Wenn die Rechtsunterworfenen nicht auf einen verlässlichen Rechtsrahmen vertrauen können, ist ethisches Handeln letztlich nicht mehr möglich. Deshalb gilt im Strafrecht der bekannte Grundsatz «nulla poena sine lege» oder keine Strafe ohne Gesetz.

Aber auch in anderen Rechtsbereichen ist die Rückwirkung höchst problematisch. Eine Steuer kann nur dann die wirksame Rechtsfolge eines Sachverhalts sein, wenn dieser bereits beim Rechtsvorgang besteht. Die Rückwirkung von Gesetzen widerspricht in fundamentaler Weise den Grundprinzipien einer freiheitlichen, rechtsstaatlichen Verfassung. Deshalb ist auch das von den Initianten vorgebrachte Argument, man müsse die Umgehung der geplanten Erbschafts-und Schenkungssteuer verhindern, ethisch und rechtsstaatlich nicht haltbar.

Hinzu kommt noch ein weiteres. Es gehört zum Kern des freiheitlichen Rechtsstaates, dass sich Bürgerinnen und Bürger auf Gesetzesänderungen bzw. neue Gesetze einstellen dürfen – auch auf solche, die noch gar nicht existieren. Es gehört zum menschlichen Wesen, zukünftige Entwicklungen abzuwägen, sich darauf vorzubereiten und entsprechend zu handeln. Darauf gründen letztlich der menschliche Erfindungsgeist, die persönliche Risikobereitschaft und der gesellschaftliche und wirtschaftliche Fortschritt.

Der berühmte amerikanische Oberste Richter Learned Hand sagte schon vor 80 Jahren: «There is nothing sinister in so arranging one’s affairs as to minimise one’s tax bill. Everybody does it, rich and poor, and all are right…». Je stabiler und verlässlicher aber eine Rechtsordnung ist, desto weniger müssen Bürgerinnen und Bürger Angst vor dem Gesetzgeber haben und zu Anpassungsmassnahmen wie im Zusammenhang mit der geplanten Erbschafts- und Schenkungssteuer Zuflucht nehmen.

Dem Populismus einen Riegel schieben

Würde es jedoch zur allgemeinen Regel, neue Gesetze rückwirkend anzuwenden, öffnete dies einer populistischen Neidpolitik Tür und Tor – mit der Folge, dass Sparsame, Reiche und Erfolgreiche bestraft und letztlich vertrieben würden.

Wer sich dies vor Augen führt, sieht schnell ein, dass die Nicht-Retroaktivität von Gesetzen eine weise Regel ist, welche im Sinne von John Rawls und James Buchanan hinter dem «Schleier der Unkenntnis (veil of ignorance)» steht und das friedliche menschliche Zusammenleben erst ermöglicht (Jörg Baumberger).

Die neue Erbschafts-und Schenkungssteuer weist aber nicht nur erhebliche rechtsstattliche Defekte auf. Sie ist auch eigentumsfeindlich, wirtschaftlich schädlich und fördert die Zentralisierung des Steuersystems mit der Gefahr einer schrittweisen Erhöhung der Steuerlast. Darüber mehr in folgenden Beiträgen.

Der nächste Artikel zu diesem Thema erscheint am 7. Dezember 2011.