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Podiumsgespräch mit Gerhard Schwarz, Edwin Hertzog, Irmtraut Gürkan, Thomas Zeltner und Volkmar Falk (von links nach rechts) zum Thema «Gesundheit zwischen Markt und Staat»

«Das ist doch ein Spital?» wunderte sich ein vorbeieilender Arzt im Foyer Ost des Zürcher Universitätsspital (USZ) über die elegant gekleidete Gruppe, die hier fehl am Platz schien. Angesichts des Themas «Gesundheit zwischen Markt und Staat» am 6. Annual Dinner für den Förderkreis von Avenir Suisse passten Ort und Inhalt jedoch perfekt zusammen und das Nebeneinander von Arztkittel und Business-Anzug deutete bloss eines der vielen Problem des Gesundheitswesens an, nämlich die höchst kontroverse Frage, ob man mit der Gesundheit auch Geschäfte machen soll und darf: Wenn es die (eigene) Gesundheit betrifft, mag niemand so recht über Wirtschaftlichkeit, Wettbewerb, Produktivität oder Ressourcen sprechen. Trotzdem kommen Politik, Öffentlichkeit und Leistungsträger (Spitäler, Versicherungen, Ärzte) nicht um die Frage herum, wie ein unbegrenztes Bedürfnis nach Gesundheitsleistungen mit beschränkten Mitteln in Einklang zu bringen ist. Ob es dazu mehr Markt oder mehr Staat braucht, diskutierten auf einem Podium Professor Volkmar Falk (Direktor der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie am USZ), Irmtraut Gürkan (kaufmännische Direktorin des Universitätsklinikum Heidelberg), Edwin Hertzog (Gründer und Chairman Mediclinic International, dem südafrikanischen Mutterhaus der Hirslanden-Kliniken) und Thomas Zeltner (ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Gesundheit und Sonderbotschafter der WHO für Finanzierungsfragen).

Wo muss, wo kann und wo darf (nicht) gespart werden

Das Schweizer Gesundheitssystem sei zwar sehr gut, aber sehr teuer, eröffnete Avenir-Suisse-Direktor Gerhard Schwarz das Gespräch. Er sei überzeugt, dass mehr Wettbewerb das Preis-Leistungsverhältnis verbessern würde. Ein erster Schritt sei die Einführung der neuen Spitalfinanzierung mit Fallpauschalen, Qualitätstransparenz und Mobilität der Patienten über Kantonsgrenzen hinweg. Der Fokus liege vor allem auf den Spitalleistungen, weil die stark fragmentierte Spitallandschaft der Schweiz mit vielen kleinen Spitälern und teurer Infrastruktur einen Drittel der gesamten Gesundheitskosten ausmache. Doch das Thema Gesundheit sei mit vielen Tabus behaftet – nirgends sonst werde so schnell zur Moralkeule gegriffen wie dort, wo es buchstäblich um Leben und Tod gehe.

Für Irmtraut Gürkan ist wirtschaftliches und ethisches Handeln im Gesundheitssektor kein Gegensatz, im Gegenteil. Die auch aufgrund der demografischen Entwicklung ungebremst steigenden Gesundheitskosten führten unweigerlich zur Frage: Wo muss, wo kann und wo darf gespart werden? Etwas anders sieht das Volkmar Falk: Bislang müssten sich Ärzte (noch) nicht bei jeder Therapie zuerst überlegen, was diese koste, und das sei auch gut so, denn die therapeutische Freiheit sei zentral für die Qualität eines Gesundheitssystems.

Privates Schnellboot überholt Uniklinik-Tanker

«Ungleich lange Spiesse im Wettbewerb mit anderen Spitälern» beklagten sowohl Irmtraut Gürkan als auch Edwin Hertzog. Ein Drittel der öffentlich-rechtlichen Spitäler in Deutschland schreiben gemäss Gürkan rote Zahlen. Die Unikliniken seien mit Forschung, Lehre und Daseinsvorsorge überladene Tanker, die von den Schnellboot-Privatklinken überholt, ja zum Teil sogar aufgekauft würden. Gürkan sieht die Ursache in der fehlenden unternehmerischen Ausrichtung öffentlicher Kliniken. Auch Volkmar Falk beklagte den fehlenden Handlungsspielraum etwa des USZ, beispielsweise bei der Umnutzung von Gebäuden. Obwohl das USZ eine selbständige öffentlich-rechtliche Anstalt sei, bleibe die Bewilligung im langwierigen politischen Prozess stecken.

Ebenfalls als zu kurz erachtet Edwin Hertzog den Spiess seiner Privatkliniken: Der Staat trete im Spitalwesen sowohl als Regulator als auch als Wettbewerber auf, was Privatklinken benachteilige. Die Schweiz belege zwar beim «Index of economic freedom» den fünften Rang, doch das Schweizer Gesundheitswesen sei alles andere als freiheitlich. Letzteres bestätigte auch Thomas Zeltner und begründete es mit dem enormen Sicherheitsbedürfnis der Schweizer. Zudem wies er auf die Diskrepanz zwischen den immensen Gewinnmöglichkeiten in der vorgelagerten Pharmaindustrie und dem stark regulierten Gesundheitssystem hin.

Übereilter Griff zum Skalpell

«Was ist falsch an Gewinnorientierung im Gesundheitssystem?» wollte Gerhard Schwarz von den Podiumsteilnehmern wissen. Für Gürkan liegt die Hauptproblematik darin, dass sie falsche Anreize setzen kann: Chirurgen griffen zu schnell und zu oft zum Skalpell, weil sie selber finanziell davon profitierten oder von der Klinikleitung dazu angehalten würden. Volkmar Falk bestätigte aus eigener Erfahrung, dass Kosten- und Ertragsüberlegungen in Privatklinken zuweilen „absurd früh“ erfolgten. Er ergänzte aber auch, dass man dafür in Privatkliniken meist bewusster mit Ressourcen umgehe, während im öffentlichen System wirtschaftliches Denken vielerorts noch nicht etabliert sei.

Edwin Hertzog relativierte das Problem der falschen Anreize: Für Privatkliniken sei die Qualität von zentraler Bedeutung. Kein Patient werde sich in einer Klinik mit zweifelhaftem Ruf operieren lassen, und kein Geldgeber werde in eine solche Klinik investieren. Mit den heutigen Kommunikationsmitteln seien Qualitätsvergleiche zwischen Ärzten und Kliniken auch für Patienten möglich. Ohnehin sieht Hertzog im global gängigen Fallpauschalen- System das grössere Risiko dass  Patienten «blutig» – also zu früh – aus dem Spital entlassen würden.

Konvergenz der Systeme

Ob es denn nun mehr Wettbewerb oder mehr Staat brauche im Gesundheitssystem, lautete die Abschlussfrage. Thomas Heiniger, Regierungspräsident und Gesundheitsdirektor des Kantons Zürich, hatte bereits in seinen Begrüssungsworten betont, dass es gemäss der Zürcher Verfassung zwar Aufgabe des Staates sei, eine ausreichende Gesundheitsversorgung sicherzustellen, dass die Frage «Make or buy» aber offen bleibe. Problematisch sei, dass der Kanton im Gesundheitssystem verschiedene Hüte trage und als Regulator, Geldgeber, Ausbildner und Leistungserbringer gleichzeitig auftrete.

Thomas Zeltner beobachtet im internationalen Vergleich eine Konvergenz der Systeme. Länder mit einem stark wettbewerbsorientierten Gesundheitssystem wie die USA hätten erkannt, dass der Staat beim Zugang zur medizinischen Versorgung für einen gewissen Ausgleich sorgen müsse. Länder mit stark planwirtschaftlichen Gesundheitssystemen wie Schweden oder Grossbritannien hätten erkannt, dass Wettbewerb die Qualität steigere. Das Schweizer Gesundheitswesen zeichne sich durch eine sehr hohe Komfortqualität aus – Zeltner stellte aber Forderungen nach einer stärkeren Zentralisierung der Leistungen in Frage. In einer älter werdenden Gesellschaft sei es gut, zu den Leuten hin zu gehen. Die erfolgreichen Mayo-Kliniken in den USA seien ein Beispiel dafür, dass es möglich sei, ein dezentrales System auch effizient zu betreiben.