Die Welt verändert sich rasant – nur die Schweizer Gewerkschaften bleiben stehen. Mit dem Internet und Call-Centern hat in unserem Land seit langem die 24-Stunden-Gesellschaft Einzug gehalten. E-Commerce führt zu einem Konsumverhalten mit Online-Bestellungen rund um die Uhr. Mehr als die Hälfte der Konsumentinnen und Konsumenten zieht heute den digitalen Einkauf dem Shopping-Erlebnis vor Ort vor.

Die 24-Stunden-Gesellschaft zeigt sich aber auch am Anstieg der Hauslieferdienste – und am Wochenende: Nachtarbeitende gibt es nicht nur in Nachtclubs, sondern auch im Transportgewerbe (ZVV – Nachtnetz sei Dank!), bei den Sicherheits-, Gesundheits- oder Reinigungsdiensten. Diese wollen gleich wie die Ausgehfreudigen verpflegt sein – selbst an Sonntagen: etwa mit digitalisierten Lebensmittelgeschäften und Self-Checkout-Kassen in der Innenstadt. So auch das Konzept der Migros-Daily-Filiale beim Hauptbahnhof Zürich.

Ausser für Gewerkschaftsfunktionäre hat der Tag für die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer 24 Stunden. (Eric Tompkins, Unsplash)

Doch dieses verletzt nach Ansicht der Gewerkschaftsfunktionäre das sonntägliche Arbeitsverbot, weil in dem automatisierten Lebensmittelgeschäft ein Sicherheitsmitarbeiter für Ordnung sorgt und die Verkaufsregale mit frischen Brötchen manuell nachgefüllt werden. Eine Flexibilisierung der Rahmenbedingungen wäre hier eine Selbstverständlichkeit, nur bekämpfen Gewerkschaften diese mit allen erdenklichen Rechtsmitteln – ebenso die Anpassung der Arbeitsgesetzgebung an die neuen Lebensgewohnheiten.

Gleichfalls mit allen erdenklichen Mitteln opponieren die Gewerkschaften gegen die gedeihliche Weiterentwicklung der bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union – obwohl die Unia-Präsidentin in der hauseigenen Zeitschrift in Verdrehung der Tatsachen verkündet: «Wir wollen eine vertiefte Zusammenarbeit mit der EU.» Die Motivation ist klar, nur herrscht darüber Stillschweigen: Die im Zuge der Personenfreizügigkeit eingeführten flankierenden Massnahmen sollen unter allen Umständen erhalten bleiben, nicht zuletzt, weil sie satte staatlich garantierte Monopolrenten in die Gewerkschaftskassen spülen, teilweise gar alimentiert mit Zwangsabgaben der Arbeitgeber und Arbeitnehmenden. Dass mit digitalisierten Lohnkontrollen und europäischer Zusammenarbeit der Schutz der Arbeitnehmender pragmatischer ausgestaltet werden könnte, findet keine Resonanz bei den Funktionären.

Ebenso ausser Acht gelassen wird, dass angesichts der geostrategischen Umbrüche mit dem sich akzentuierenden Konflikt zwischen den Grossmächten USA und China und dem ungeheuerlichen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eine engere europäische Zusammenarbeit zum Vorteil unseres Landes wäre. Ein Hinterfragen der bisherigen gewerkschaftlichen Standpunkte: Fehlanzeige.

Als kritischer Zeitbeobachter fragt man sich, wie weit die Blockademacht der Gewerkschaften noch gehen soll. Seit Jahren vermelden sie drastisch zurückgehende Mitgliederzahlen, die grosse Mehrheit der Arbeitnehmenden ist im Jahre 2022 nicht gewerkschaftlich organisiert. Dennoch bleibt die arbeitsmarktpolitische Mitsprache der Gewerkschaften hoch – zu hoch. Eine Erneuerung der Sozialpartnerschaft ist angezeigt, ansonsten droht die Gefahr, dass im Land der Direktdemokratie neokonservative Schweizer Gewerkschaftsfunktionäre als Minderheit über die Mehrheit regieren.