Die multilaterale Handelsliberalisierung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) steckt in einer Krise. Die Schweiz setzt deshalb in ihrer Aussenwirtschaftsstrategie seit rund zehn Jahren auf bilaterale Freihandelsabkommen (FHA) – bis heute konnten deren 30 erfolgreich abgeschlossen werden. Aus dem Freihandel bewusst ausgeklammert bleibt dabei die Landwirtschaft. Selbst mit der EU besteht nur eine Teilliberalisierung des Handels mit Agrarprodukten, insgesamt wurde ein bedeutender Schutz an der Grenze beibehalten.

Ein Vetorecht für 3,5% der Beschäftigten

Diese Haltung wird für die Schweiz zusehends zum Stolperstein. Der Abschluss weiterer FHA könnte an der fehlenden Bereitschaft der Schweiz zur Öffnung des Agrarmarktes scheitern. Das geplante FHA mit den USA konnte vor zehn Jahren wegen der Landwirtschaft nicht abgeschlossen werden. Trotz ihrer geringen ökonomischen Bedeutung (3,5% der Beschäftigten und 1,2% der Bruttowertschöpfung) hat die Agrarbranche einen so grossen politischen Einfluss, dass sie sich bei Aussenhandelsthemen gegen die Interessen des grössten Teils der übrigen Wirtschaft durchzusetzen vermag.

Die protektionistische Schweizer Landwirtschaftspolitik geht nicht zuletzt zu Lasten der Konsumenten. Abgeschottete Märkte führen zu weniger Wettbewerb und in der Regel zu höheren Preisen. WTO-Regeln lassen eine mengenmässige Beschränkung der Importe nicht mehr zu, weshalb die Schweiz nun regen Gebrauch von tarifären Massnahmen macht. Ein Beispiel: Bei Gemüsen und Früchten wird grundsätzlich unterschieden, ob eine Sorte auch im Inland massgeblich angebaut wird, oder ob sie aus dem Ausland importiert werden muss (etwa Tropenfrüchte). Für die auch im Inland produzierten Sorten gilt ein Zweiphasen-System. In der sogenannten bewirtschafteten Periode, also wenn im Inland die entsprechenden Sorten reif sind, ist die inländische Produktion durch höhere Zölle geschützt als in der nicht bewirtschafteten Periode. Neben dieser Sorten- und Saisonalitäts-Komponente ist die konkrete Höhe des Zolls vom Zolltarif, dem Ursprungsland und der Ausschöpfung des Kontingents abhängig. Die Kontingentszuteilung an die Importeure erfolgt nach dem «Grandfathering Prinzip» (Bestandesschutz). Dazu zählt nicht nur die importierte Menge des Vorjahres, sondern auch die Übernahme inländischer Volumina. Bisherige, grosse Importeure werden so bevorzugt. Ein neuer Händler muss sich seinen Kontingentsanteil mit der Zeit «verdienen».

Aussenhandel Landwirtschaft

Der Verband des Schweizerischen Früchte-, Gemüse- und Kartoffelhandels (Swisscofel) zählt aktuell 106 Gemüse- und 17 Früchtesorten mit einer tarifären Importrestriktion. Nüsslisalat geniesst interessanterweise den grössten Importschutz aller unverarbeiteten Gemüse und Früchte. Die Zolltarife betragen hier bis zu 1756 Fr. pro 100 kg. An nur gerade 13 Tagen im Juli, konkret vom 2. bis zum 14. Juli, beträgt der Zoll 10 Fr. pro 100 kg. In der übrigen, sogenannten bewirtschafteten Zeit kommt einer der drei folgenden Zolltarife zur Anwendung:

  • Kann das inländische Angebot den Markt nicht versorgen und hat ein Importeur ein Kontingent erhalten, darf er innerhalb seines Kontingents Nüsslisalat zu einem Zolltarif von 10 Fr. pro 100 kg einführen.
  • Hat ein Importeur kein Importkontingent, oder hat er es bereits ausgeschöpft, kann er Nüsslisalat zu einem Tarif von 1756 Fr. pro 100 kg einführen. Faktisch entspricht dies einem handelspolitisch nicht konformen Importverbot, da ein Endverkaufspreis von über 40 Fr. pro kg resultieren dürfte. Dies bei einem im Einzelhandel üblichen Kilopreis von 20 bis 25 Fr.
  • Stellt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) eine sogenannte Vollversorgung fest, d.h. deckt das inländische Angebot die inländische Nachfrage, kommen keine Kontingente zur Anwendung. Damit sind mengenmässig unbeschränkte Importe zu einem Zolltarif von 700 Fr. pro 100 kg möglich.

Täglicher Administrationsaufwand

Eines der Probleme eines solchen Tarifregimes ist, dass das BLW Prognosen über die zukünftige Versorgungslage erstellen muss. Die Prognosen werden, basierend auf den erwarteten Produktionszahlen, zwei Mal pro Woche aufdatiert. Händler müssen also beinahe tagesaktuell berechnen, welche Importstrategie sie fahren wollen. Weiter stellt so ein System beinahe lückenlos sicher, dass das inländische Angebot abgenommen wird, bevor sich Importe auszahlen. Dies entspricht einer Abnahmegarantie. Man stelle sich vor, der Bund würde Inländern vorschreiben, dass Auslandferien erst bei einer 100%-Auslastung der Schweizer Tourismusbranche erlaubt sind.

Für 60 der 123 Gemüse- und Früchtesorten gelten sogenannte effektiv bewirtschaftete Perioden, während derer Ergänzungsimporte zum niedrigsten Tarif bewilligt werden können. Die Auswertung zeigt, dass der Freiheitsgrad im Februar am höchsten ist. Von den 60 Gemüse- und Früchtesorten können 43 zumindest während mehreren Tagen im Februar zum niedrigsten Tarif importiert werden. Über alle 60 Sorten gerechnet ergibt sich ein Durchschnitt von 21 Tagen, an denen die Importbarriere auf das Minimum sinkt. Dies sind immerhin 70% der Kalendertage im Februar 2016. Im Sommer ist das Gegenteil der Fall. Im Juli und August können im Durchschnitt nur gerade an 7% bzw. 5% der Tage Importe zum niedrigen Tarif verzollt werden.

Landwirtschaftspolitik: Beim Zolltarif hört es nicht auf

Neben dem reinen Zolltarif gibt es technokratische Vorschriften, die den Import landwirtschaftlicher Erzeugnisse unnötig verkomplizieren. Unternehmen und Verwaltung müssen ihre Administration aufblähen, um den korrekten Vollzug der Vorschriften sicherzustellen. Dies ist nicht kostenlos, und am Ende wird man als Steuerzahler und Konsument doppelt zur Kasse gebeten.

Die Abschaffung der Kontingente oder die Einführung nur eines Zolltarifs wären erste Schritte in Richtung einer liberaleren Aussenhandelspolitik. Der Staat, die Unternehmen, die Steuerzahler und die Konsumenten würden administrativ und finanziell entlastet. Wie unsinnig viele dieser Handelshemmnisse sind, zeigt die inzwischen legendäre Antwort des damaligen Bundesrates Hans-Rudolf Merz auf eine Anfrage aus dem Parlament. Thema war der Import von gewürztem Fleisch. Die juristisch einwandfreie Antwort demonstrierte damals exemplarisch das technokratische Dickicht, mit dem Importeure täglich zu kämpfen haben. Volkswirtschaftlich lassen sich die geltenden Vorschriften nicht rechtfertigen – Bundesrat Merz konnte diesem Umstand letztlich nur mit Humor begegnen.