Eine Denkfabrik sollte nicht nur eigene Ideen produzieren, sondern auch die Ideen anderer reflektieren. Eine solche Gelegenheit bot sich unserem Team Mitte März bei einem «Brownbag-Lunch» mit niemand Geringerem als Deirdre McCloskey, Professorin für Ökonomie, Englisch und Kommunikationswissenschaften an der «University of Illinois at Chicago».
Die Schülerin Milton Friedmans ist Autorin von 16 Büchern und über 350 wissenschaftlichen Artikeln. Besonders in ihren jüngeren Werken «The Cult of Statistical Significance: How the Standard Error Costs Us Jobs, Justice, and Lives»(2008) und «Bourgeois Dignity: Why Economics Can’t Explain the Modern World» (2010) setzte sie sich sehr kritisch mit den in der Ökonomie üblichen Methoden und Annahmen auseinander, was ihr international viel Anerkennung brachte.
«Eine Karriere ohne statistische Signifikanz ist kaum möglich»
Mit einer Breitseite gegen die statistische Signifikanz begann sie auch ihre Ausführungen für das Avenir-Suisse-Team. Ökonomen würden viel zu häufig nur nach statistischer Signifikanz suchen, ohne dabei auf ökonomische Signifikanz zu achten. Bei der Entscheidung über wirtschaftspolitische Massnahmen müsste doch auch der Frage nachgegangen werden, wie gross die Wirkung einer Sache auf eine andere überhaupt sei. Die meisten Masterprogramme legten leider nach wie vor viel zu grossen Wert auf Ökonometrie und liessen dabei andere Methoden wie Simulation, Umfragen oder die wirtschaftshistorische Analyse ausser Acht.
«Solange wir die statistische Signifikanz als Kriterium in der Ökonomie zulassen, werden wir nirgendwohin kommen.», meinte McCloskey lapidar. Dieser Pessimismus hat wohl auch damit zu tun, dass sich – trotz vieler positiver Reaktionen auf ihre Streitschrift – kein Methodenwandel in der Ökonomenzunft abzeichnet. Um einen Artikel in einem der wichtigen Journals zu platzieren, führt bis auf weiteres kein Weg an der statistischen Signifikanz vorbei.
«Erfinder muss man rühmen»
McCloskey unterrichtet nicht umsonst auch Kommunikationswissenschaften – reden kann sie, und die Aufmerksamkeit des Publikums war ihr gewiss, als sie den Bogen zu ihren Forschungen über die bürgerlichen Werte schlug.
«Was ist die Ursache für Wachstum?» – Das sei die wichtigste Frage, die heutige Ökonomen zu klären hätten. Mit den herkömmlichen Antworten Arbeit, Kapital, Bildung, Eigentumsrechte oder Aussenhandel gibt sich McCloskey nicht zufrieden. Diese genügten nicht, um die moderne Welt zu erklären.
«Die moderne Welt ist ein Resultat der Innovationen, nicht der Investitionen.» Das ist, kurz zusammengefasst, das Ergebnis ihrer wirtschaftshistorischen Analyse. Letztlich sei jeweils die Atmosphäre in einer Gesellschaft entscheidend für ihr Gedeihen gewesen: die Wertschätzung, die man den Innovatoren, den Erfindern und Unternehmensgründern, entgegenbrachte. «Innovation kommt von Individuen, nicht von Staaten. Kapitalakkumulation kann deshalb nicht das Herz des Wirtschaftswachstums sein. Und eigentlich mag ich das Wort ‚Kapitalismus‘ nicht. Es legt den falschen Schwerpunkt.», meinte McCloskey weiter.
Welche Krise?
Erstaunlich entspannt reagierte die Referentin auf unsere Fragen zur gegenwärtigen Finanzkrise. Erstens sei die Finanzkrise eine von vielen – und bestimmt nicht die letzte ihrer Art. In den vergangenen Jahren schrumpften nur die Wirtschaften der Industrieländer, während die Weltwirtschaft als Ganzes gewachsen sei. Immerhin habe sich seit 1900 die Weltbevölkerung versiebenfacht, ihr Einkommen aber verzehnfacht.
Der westlichen Welt attestiert Deirdre McCloskey – konsequent ihrer Argumentationslinie folgend – vielmehr eine Krise der Werte. Sie selbst sei über die Jahre zu einer «Christlichen Libertären» geworden. Denn gerade eine freie Gesellschaft brauche eine Basis in der Menschlichkeit. Es gibt also durchaus noch Grund zur Hoffnung für unsere Welt – und ihre Ökonomen.
Lesen Sie auch noch das in der NZZ publizierte Interview mit Deirdre McClosky.