Während dieser Tage bei den Europawahlen über die zukünftige Zusammensetzung des EU-Parlaments entschieden wurde, verharrt die Schweiz im Entscheidungsstillstand, wenn es um die Frage der Weiterentwicklung ihrer Beziehungen zur EU geht. Das von Berner und Brüsseler Unterhändlern ausgehandelte Institutionelle Rahmenabkommen (InstA) erklärt die EU zum endgültigen Vertragstext, derweil der Bundesrat offiziell von einem Vertragsentwurf spricht. Das Wort von Nachverhandlungen macht die Runde, obwohl die Wirtschaftsverbände auf einen raschen Abschluss des Abkommens drängen.

Zugleich strebt die Schweiz ein Freihandelsabkommen mit den USA an. Immer offensichtlicher wird, dass ein solches nur zustande kommt, wenn das Agrardossier einbezogen wird. Doch hier droht Unbill seitens der Agrarlobby, die bereits mit ihrer Fundamentalopposition im Jahr 2006 den ersten Anlauf zum Scheitern gebracht hat. Bemerkenswert: War die Wertschöpfung der Schweizer Bauern bereits vor 13 Jahren sehr gering, trägt heute die Landwirtschaft nur noch knapp 0,7% zum BIP bei, ein historischer Tiefstand. Nach wie vor ist die Bauernlobby jedoch weder bereit, ein Freihandelsabkommen mit den USA zu unterstützen, noch dem InstA zuzustimmen. Vergessen wird, dass laut der deutschen Bertelsmann-Stiftung unser Land überproportional von der globalen Handelsintegration der Schweizer Unternehmen profitiert. Kein anderes europäisches Land (EU-Mitglieder eingeschlossen) erreicht auch nur ansatzweise die gleich hohen ökonomischen Vorteile durch den EU-Binnenmarkt wie die Schweiz.

Selbst als Insel in der EU profitiert die Schweiz dank den Bilateralen mehr vom Binnenmarkt als alle anderen europäischen Länder. (Lucas Messere, unsplash)

Doch nicht nur wirtschaftlich, auch für Bildung und Forschung steht für das Land von Johann Heinrich Pestalozzi viel auf dem Spiel. Kommt es zu keiner Einigung über das InstA, wird die Schweiz ab 2021 nur eingeschränkt am weltgrössten Forschungs- und Innovationsprogramm teilnehmen können. «Horizon Europe» mit einem Budget von fast 100 Milliarden Euro gilt als Champions League der Wissenschaft. Man ist hierzulande berechtigterweise stolz darauf, dass ETH und EPFL in globalen Hochschulrankings Spitzenpositionen belegen. Ihre Stärken beruhen wesentlich auf Internationalität und grenzüberschreitender Kooperation. 67% beträgt der Anteil ausländischer Professoren an der ETH. 43% aller EU-Fördermittel, die von 2010 bis 2017 an Schweizer Institutionen gingen, flossen in den Hochschulraum am Arc lémanique. Exportindustrie und Bildungsinstitutionen scheuen den internationalen Wettbewerb nicht und sehen die Vorteile eines InstA. Dem steht die aktuelle politische Gewichtung gegenüber: Mit jährlich knapp 50’000 Fr. wird jeder Schweizer Bauer im Durchschnitt direkt und indirekt unterstützt, 32’000 Fr. kostet jährlich die Ausbildung pro Student. In Bezug auf die Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit und Prosperität ist diese Prioritätensetzung zu hinterfragen.

Dieser Beitrag ist am 29. Mai 2019 in der «Handelszeitung» erschienen.