Die Schweiz hat sich entschieden, neben 56 anderen Ländern Mitglied der von China initiierten Asiatischen Infrastruktur- und Investitionsbank (AIIB) zu werden. Zu diesem Zweck soll sie sich mit einem Kapitalanteil von 706 Mio. $ am einbezahlten Grundkapital von 20 Mrd. $ (plus 80 Mrd. $ Garantieanteil) beteiligen, was ihr in den Leitungsgremien einen Stimmenanteil von 0,8745% verleihen würde. Anfänglich wehrten sich die USA gegen die Schaffung der AIIB.  Aber auch sie mussten die Segel streichen, nachdem sich praktisch alle wichtigen Länder zur Teilnahme entschlossen hatten.

Warum braucht es die AIIB?

Da es mit der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung vergleichbare, in Asien tätige Institutionen gibt, fragt man sich unweigerlich nach dem Mehrwert der AIIB. Die bundesrätliche Botschaft ist diesbezüglich eher knapp. Die Beteiligung an der AIIB «füge sich in die schweizerische Aussen-, Aussenwirtschafts- und Entwicklungspolitik ein», und die Bank könne «zu einem bedeutenden Pfeiler der internationalen Entwicklungsbankenarchitektur werden». Stutzig macht der Hinweis, dass sich die neue Bank zwar an die Standards der in der Region tätigen Finanzinstitutionen (Weltbank, ADB) halten, aber «effizienter und näher bei den Kunden (d.h. den Kreditnehmern) sein wolle».

Nach ökonomischer Logik würde man von den Weltbank- und ADB-Eignern erwarten, dass sie die bestehenden Entwicklungsbanken entsprechend reorganisieren, bevor sie eine neue gründen. Was also ist passiert?

Internationale Organisationen gehen nie unter

Ohne die Theorie der internationalen Organisationen gross zu bemühen, lassen sich drei Erklärungen anführen, warum es leichter ist, neue Institutionen zu schaffen, als bestehende abzuschaffen.

  • Erstens sind die Aufgaben und Ziele internationaler Organisationen in aller Regel vage umschrieben mit Formulierungen, die fast beliebig interpretierbar sind. So ist der Zweck der AIIB «die Förderung nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung in Asien durch Investitionen in Infrastrukturprojekte und andere produktive Wirtschaftsbereiche». Vom Bundesrat erfährt man nicht, warum die Weltbank und die ADB diese Aufgaben nicht erfüllt haben oder nicht erfüllen können.
  • Zweitens ist die Erreichung solcher Ziele weder exakt messbar noch eindeutig bestimmbar, so dass einmal geschaffene internationale Organisationen kaum aus der Welt zu schaffen sind.
  • Schliesslich haben internationale Organisationen und nationale Verwaltungen gemeinsame Interessen. Zum einen können so Aufgaben von der nationalen Ebene leicht auf die internationale verschoben und Verantwortungen verwischt werden. Zum andern stützen sich nationale Verwaltungen für die Durchsetzung ihrer eigenen Vorhaben gerne auf Empfehlungen und Berichte internationaler Organisationen. Besonders beliebt sind «Peer reviews», d.h. die gegenseitige Begutachtung der von den einzelnen Ländern und Sekretariaten verfassten Berichte über bestimmte Politikfelder. Solche gibt es mittlerweile von der OECD, dem IMF, der WTO oder auch dem Europarat. In jüngster Zeit spielt die Standardsetzung durch internationale Organisationen eine immer wichtigere Rolle, wobei die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit ihrem Regelwerk für den Informationsaustausch und für die Steuerpolitik gegenüber multinationalen Unternehmen im Fokus steht.

Aus Trümmern auferstanden…

Lässt sich das oben gesagte auch belegen?  Es gibt einige prominente Beispiele, die die Überlebenskraft von internationalen Organisationen belegen, nachdem sie ihre Mandate eigentlich erfüllt hatten. Die 1948 gegründete Europäische Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) hatte zur Aufgabe, die im Marshall-Plan skizzierte Politik für den Wiederaufbau Europas umzusetzen. Als diese Aufgabe im Wesentlichen 1961 abgeschlossen war, transformierten die Mitgliedländer die OEEC in die OECD. Interessant ist auch die Entwicklung des 1945 – zusammen mit der Weltbank – aus der Taufe gehobenen Internationalen Währungsfonds (IMF). Als dessen Hauptfunktion 1971 bzw. 1973 nach dem Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse gegenstandslos geworden war, nämlich die Bereitstellung von Krediten zur Aufrechterhaltung der vereinbarten Paritäten, wurde seine Tätigkeit auf neue Kreditprogramme sowie Beratungs- und die Statistikzusammenarbeit  ausgeweitet.

Selbst der bekannte Meltzer-Bericht (benannt nach dem Ökonomieprofessor Allan Meltzer), der 2000 im Auftrag des US-Kongresses die Bretton-Woods-Institutionen einer schonungslosen Kritik unterzog, vermochte daran nichts zu ändern. Der Bericht forderte, das IMF-Engagement stark zu reduzieren und die Fondsmittel nicht weiter aufzustocken. Zudem sollte der IMF auch nicht automatisch bei Krisen aushelfen. Für die Weltbank empfahl der Bericht, die Arbeit in Asien und Lateinamerika den regionalen Entwicklungsbanken zu überlassen und nur noch für einen begrenzten Zeitraum in Afrika zu tätig sein. All das blieb Wunschdenken.

Schliesslich muss auch die 1991 gegründete Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) erwähnt werden. Sie hatte die Aufgabe, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks den Transformationsprozess in den Ländern Mittel-und Osteuropas hin zur Marktwirtschaft finanziell zu unterstützen. Als dies mit dem EU-Beitritt der meisten dieser Länder eigentlich abgeschlossen war, hat die EBRD einfach ihr Operationsgebiet ausserhalb Europas ausgeweitet.

Keine unternehmerischen Restriktionen

Bei internationalen Organisationen wird kaum je das geschehen, was ABB kürzlich ankündigt hat, nämlich die Konzentration von Aufgaben und Standortschliessungen. Internationale Organisationen unterliegen keinen Performance-Restriktionen und ihre Leistungen sind nicht objektiv messbar. Nach einem Strang der Theorie internationaler Organisationen können sie sich vielmehr darauf verlassen, dass die Welt zwischen «Insidern» (gute Mitglieder) und «Outsidern» (schlechte Länder) differenziert. Und wer will schon «Outsider» sein?