Bekanntlich liegt die Schweiz in internationalen Vergleichen der Arbeitsproduktivität nur im Mittelfeld. Rein impressionistisch hat man wohl immer etwas Mühe zu verstehen, warum Belgien und Frankreich bei dieser Kennzahl die Schweiz überrunden, während Italien und Spanien ihr mit nur geringem Abstand folgen. Ist der schweizerische Binnenmarkt, der vom Seco für die Produktivitätsschwäche der  Schweiz verantwortlich gemacht wird,  so viel schwächer als derjenige in den zuerst erwähnten Ländern? Die schon auf nationaler Ebene bestehenden Probleme bei der Messung der Arbeitsproduktivität hat der letzte Beitrag zu diesem Thema beleuchtet.  Bei  Produktivitätsvergleichen auf internationaler Ebene  wird es nun aber noch komplizierter.

Divergierende Messverfahren

Weltweit wird das Bruttoinlandprodukt (BIP) zwar auf der Grundlage des gemeinsamen Systems der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der UNO berechnet. Aber trotz einer konzeptionell weltweit ähnlichen Basis gibt es gleichwohl wesentliche Unterschiede bezüglich Datenstruktur und/oder Messverfahren in den einzelnen Ländern. Das beginnt schon bei der Umrechnung  der nationalen Werte auf eine gemeinsame Basis. So kann die  Kaufkraftbereinigung  zu verschiedenen Resultaten führen, und zwar je nachdem, ob die Bereinigung mit den Lebenshaltungskosten, den «Unit-Labour-Costs» oder anderen Deflatoren erfolgt.  Auch die Tatsache, dass die Länder jeweils in unterschiedlichen Phasen des Konjunkturzyklus stehen, kann erhebliche Auswirkungen haben. Vor allem aber spiegelt die hohe Erwerbsquote der Schweiz, dass in unseren Arbeitsmarkt dank dessen Flexibilität auch Beschäftigte mit geringer Produktivität integriert sind, was auf die  Arbeitsproduktivität drückt.  So überrascht es denn auch nicht, wenn der frühere Präsident der Schweizerischen Nationalbank auf der Basis einer soliden Analyse festhielt: «Gerade in  Ländern mit einem grossen Dienstleistungssektor sind die BIP- und Produktivitätszahlen auf der Ebene der Gesamtwirtschaft mit Vorsicht zu geniessen».  Im Vergleich mit den USA,  deren relativ zu Europa schnelleres Produktivitätswachstum zu Beginn dieses Jahrhunderts heftig diskutiert wurde, hielt Hildebrand fest, dass wegen unterschiedlicher Messverfahren Differenzen von schätzungsweise 0,5% bis 1%  im realen BIP-Wachstum zugunsten der USA angenommen werden können.

Mit und ohne Schattenwirtschaft

Auf zwei weniger beachtete, aber nicht minder wichtige Unterschiede soll hier kurz aufmerksam gemacht werden: den Einbezug der Schattenwirtschaft und die Einrechnung von Produktivitätsfortschritten für den staatlichen Sektor.  Ob man die Schattenwirtschaft, die nach Schätzung in einzelnen Ländern bis gegen 30% des offiziell ausgewiesenen BIP ausmachen kann, in das BIP einrechnet oder nicht,  hat auf die Produktivität erhebliche Auswirkungen. Angeblich sollen Belgien und Italien die Schattenwirtschaft im BIP berücksichtigen. Noch problematischer wird es, wenn für den staatlichen Sektor Produktivitätsfortschritte unterstellt werden, obgleich dies nach dem Deutschen Sachverständigenrat eigentlich explizit ausgeschlossen wäre.  Dennoch  soll Frankreich den Output  des staatlichen  Bildungs- und Gesundheitsbereichs mit Mengenindikatoren schätzen und dabei auch Produktivitätsfortschritte geltend machen. Fragt man diesbezüglich bei statistischen Ämtern im In-und Ausland nach,  registriert man nur Achselzucken: Man wisse nichts Genaues, aber es könne  schon vorkommen.

Ob all dieser Probleme und Unsicherheiten könnte man leicht geneigt sein, einer Aussage beizupflichten, die auf dem Höhepunkt der seinerzeitigen Auseinandersetzung über die Wachstumsschwäche der Schweiz häufig zu hören war: «Was kümmert uns Wachstum und Produktivität, wenn nur die Beschäftigung stimmt». Aber vielleicht wäre es gut, bei der Verwendung von wichtigen volkswirtschaftlichen Daten ab und zu auch einmal daran zu denken, wie diese zustande kommen. Dann kann man auch immer wieder kolportierte Bemerkungen wie «Wir sind fleissig, aber nicht produktiv» besser einordnen.

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