In einigen strukturschwachen Gebieten der Bergkantone sind Abwanderung und wirtschaftliche Schrumpfungsprozesse extrem ausgeprägt. Im Rahmen der Umsetzung der Neuen Regionalpolitik (NRP) forderte der Bund vor einigen Jahren die betroffenen Kantone auf, spezifische Strategien für jene Gebiete zu entwickeln, in denen klassische Strukturpolitik nicht mehr greift.
Lange war das Thema ein Tabu. Als das ETH Studio Basel 2006 in dem Buch «Die Schweiz – ein städtebauliches Portrait» den Begriff «alpine Brachen» prägte, ging ein Aufschrei durch die Bergkantone. Aufgrund einer Verwechslung wurde der Begriff immer wieder Avenir Suisse angelastet, denn der Think-Tank hatte zeitgleich das Buch «Baustelle Föderalismus» veröffentlicht – mit einer Pendlerkarte der Metropolitanregionen, in der das Berggebiet aufgrund der nicht vorhandenen Pendler weiss blieb. Eine sachliche Debatte über Schrumpfungsprozesse war kaum mehr möglich.
Mit Graubünden ging erstmals ein Bergkanton diese politisch heikle Aufgabe systematisch an. Das Amt für Wirtschaft und Tourismus des Kantons publizierte 2009 einen detaillierten Bericht unter dem Titel «Strategien zum Umgang mit potenzialarmen Räumen». Ziel war es nicht, die betroffenen Regionen dem Untergang preiszugeben, sondern vielmehr realistische Strategien zu entwickeln, um Schrumpfungsprozesse besser zu steuern und eine Stabilisierung der Gebiete zu erreichen.
Zu diesem Zweck wurden zunächst Kriterien zur Identifizierung potenzialarmer Räume festgelegt. Hierzu zählen Überalterung, Bevölkerungsrückgang, negative Finanzkennzahlen oder der schleichende Abbau des Service public. Die entsprechenden Indikatoren wurden für alle Gemeinden des Kantons analysiert, um Regionen zu identifizieren, wo diese Probleme gehäuft auftraten.
Unterschieden wurde zwischen potenzialarmen Räumen erster Priorität, deren wirtschaftliche Basis akut gefährdet ist und potenzialarmen Räumen zweiter Priorität, deren Situation weniger kritisch ist. Ausgehend von dieser Bestandsaufnahme wurden Strategien zur Schaffung bzw. Aktivierung wirtschaftlicher Potenziale zusammengetragen. Dazu zählen integrierte Tourismus-Ressorts, der Aufbau von Regionalparks mit entsprechenden Wertschöpfungsketten sowie Lösungen zur Bereitstellung von Infrastruktur und Service public in dünn besiedelten und entlegenen Gebieten.
Ziel ist es, eine Trendumkehr (d.h. Wachstum) oder zumindest einen Trendbruch (d.h. eine Stabilisierung) zu erreichen. In Gebieten, wo dies nicht gelingt, geht es schliesslich um einen geordneten Rückzug. Diese konzeptionelle Pionierleistung von Graubünden ist auch für andere Bergkantone von Interesse. Vor allem ist sie ein Beitrag zu einem konstruktiveren Umgang mit Schrumpfungsprozessen. Nur so lassen sich wirkungsvollere, weil zielgenauere, Förderstrategien entwickeln und die begrenzten Mittel für Strukturpolitik und Service public effektiv einsetzen.