Stand der Einführung von HRM2 in den Schweizer Kantonen und Gemeinden

Ökonomen beschäftigen sich nicht gerne mit Dingen wie Rechnungslegungsstandards.  Damit sollen sich doch bitteschön BWL-Studenten oder Finanzcontrolling-Abteilungen herumschlagen. Doch die trockene Materie entpuppt sich bei genauerem Hinschauen zum Teil als äusserst interessant:

Die Schweizerische Finanzdirektorenkonferenz empfahl 2008 den Kantonen und Gemeinden ihre Rechnungslegung bis spätestens 2018 auf HRM2 umzustellen. Neben der Einführung moderner Begrifflichkeiten und neuer Instrumente (Anlagebuchhaltung, Eigenkapitalnachweis, Geldflussrechnung, ausführlicherer Anhang zur Jahresrechnung mit Gewährleistungs- und Beteiligungsspiegel) bedeutet dies vor allem die möglichst wahrheitsgetreue Abbildung von Vermögens- und Ertragsverhältnissen. Der Anspruch der Steuerzahler auf Transparenz soll dadurch besser erfüllt werden.

Die Umstellung bedingt eine Abkehr von der bisherigen Abschreibungsmethode, die den Schwerpunkt auf eine geringe Verschuldung und die möglichst rasche Refinanzierung von Investitionen legt, um jene Generation zu belasten, die die Investition ausgelöst hat. Erreicht wird bzw. wurde dies durch degressive Abschreibungen und hohe Aktivierungsgrenzen für Investitionen. Das führte aber zur Bildung stiller Reserven auf dem Vermögen und damit zu einer zu tiefen Bewertung des ausgewiesenen Eigenkapitals. HRM2 sieht deshalb eine lineare Abschreibung gemäss der Lebensdauer der Anlagegüter vor.

Die Kantone und Gemeinden sind mit der Umsetzung von HRM2 unterschiedlich weit.  Während bis und mit 2012 immerhin etwa die Hälfte der Kantone auf ein modernes Rechnungslegungssystem umgestellt haben wird, ist HRM2 für die meisten Gemeinden noch Zukunftsmusik (vgl. Abbildung.). In einigen Pilotgemeinden sorgten die ersten Erfahrungen mit HRM2 für Diskussionen. Es zeigte sich, dass aus den Neubewertungen beim Finanzvermögen ein massiv höheres Eigenkapital resultieren kann. Prompt schloss die Konferenz der kantonalen Aufsichtsstellen über die Gemeindefinanzen (KKAG): «Es drängen sich Regelungen zur Verwendung des Eigenkapitals auf, um den Druck auf Steuerfusssenkungen zu reduzieren»

Diese Aussage lässt aufhorchen. Die Rede ist also von Immobilien, Landbesitz oder Beteiligungen, die bisher zu Erinnerungswerten verbucht wurden, weil sie gar nie aktiviert wurden oder aufgrund der bisherigen, aggressiven Abschreibungspraxis längst abgeschrieben sind, während sich riesige stille Reserven gebildet haben. Würde nun dieses Vermögen gemäss dem «True-and-fair-view»-Prinzip zu realistischen Wiederverkaufswerten bewertet, würde dies das Eigenkapital tatsächlich erheblich vergrössern. Aber was soll an dem dadurch entstehenden Druck, die Steuerfüsse zu senken, so schlecht sein?

Das Finanzvermögen ist per definitionem Vermögen, das für die gesetzliche Aufgabenerfüllung der Gemeinden nicht notwendig ist, also z.B. Immobilien, für die keine öffentliche Nutzung vorliegt, Grundstücke, auf denen innert nützlicher Zeit keine öffentlichen Bauten erstellt werden, oder Beteiligungen an Unternehmen, die für die Leistungserbringung der Gemeinde nicht unmittelbar nötig sind. In all diesen Fällen stellt sich die Frage, warum die Gemeinde diese Vermögensgegenstände nicht veräussert und die Einkünfte zur Senkung der Bruttoverschuldung oder des Steuerfusses verwendet.

Es ist legitim, ja sogar wünschenswert, dass eine Gemeinde, die dies nicht tut, ihre Entscheidung vor den Stimmbürgern rechtfertigen muss. Sollten diese die erzielbare Steuerfusssenkung höher bewerten als den potenziellen künftigen Nutzen von nicht für die gesetzliche Leistungserbringung notwendigen Vermögensgegenständen, müsste die Exekutive ihren Entscheid revidieren – und das zu Recht. Erst die wahrheitsgetreue Abbildung der Vermögensverhältnisse bietet hierzu die korrekte Entscheidungsgrundlage.

Die konsequente Umsetzung von HRM2 ist deshalb weit mehr als eine Fingerübung für Experten im Rechnungswesen: Sie ist ein entscheidender Faktor, um die Transparenz der Staatstätigkeit zu erhöhen. Die neue Art der Bilanzierung könnte für gewisse politische Kreise durchaus noch ungemütliche Folgen haben.

Mehr zu diesem Thema erfahren Sie in der neuesten Studie von Avenir Suisse: «Gemeindeautonomie zwischen Illusion und Realität».