Ein OECD-Bericht attestierte Ende 2014 die besonders hohe Erwerbsbeteiligung älterer Mitarbeiter in der Schweiz. 71 Prozent der Frauen und Männer im Alter von 55 bis 64 Jahren sind erwerbstätig, drei Prozentpunkte mehr als 2007. Die Schweiz belegt damit den 5. Rang innerhalb der OECD. Zudem beträgt die Arbeitslosenquote in dieser Altersgruppe -selbst unter Berücksichtigung der Ausgesteuerten – nur 3,1 Prozent, also halb so viel wie in Deutschland und sechsmal weniger als in Spanien. Auch ist die Arbeitslosenquote der über 55-Jährigen in der Schweiz deutlich tiefer als diejenige der gesamten Erwerbsbevölkerung (5 Prozent). Solche Nachrichten sind im Kontext der Rentenaltersdebatte der Vorsorgereform 2020 wichtig. Doch hierzulande sieht man das Glas eher halb leer denn halb voll. Statt diese positiven Statistiken hervorzuheben, fokussieren Medien auf die Schwierigkeiten älterer Arbeitsloser und die damit implizierten Defizite des Arbeitsmarktes.

Diese gilt es zu adressieren, keine Frage. Aus meinem persönlichen Umfeld weiss ich, wie schwierig die Situation für Betroffene und ihre Familien ist, sowohl psychisch wie finanziell. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass 97 Prozent der über 55-Jährigen, die arbeiten wollen oder können, auch effektiv einer Beschäftigung nachgehen. Auch findet fast die Hälfte (41 Prozent) der «Ü55», die ihre Stelle verlieren, innerhalb eines Jahres einen neuen Job. Unser liberaler Arbeitsmarkt funktioniert also. Auch das muss betont und geschützt werden. Wenn wir uns in der Öffentlichkeit nur auf die 1,5 Prozent der älteren Erwerbspersonen fokussieren, die langzeitarbeitslos sind, gehen wir zwei Risiken ein:

Erstens wird mit diesem Fokus ein verzerrtes Bild der Qualifikation älterer Mitarbeitender geschaffen. Es gibt sie zwar, die Senioren, die weniger produktiv und effizient sind. Genauso gibt es aber solche mit einem sehr wertvollen Erfahrungsschatz sowie Fach- und Sozialkompetenzen, die sie zu begehrten Kollegen machen. Manche ältere Angestellte werden zwar aufs Abstellgleis geschoben, andere aber dafür von der Konkurrenz abgeworben. Manche Arbeitslose müssen hunderte von Bewerbungen schreiben, andere finden sofort eine neue Stelle. Der alleinige Fokus auf Personen mit tragischen Schicksalen, die oft aufgrund nicht passender Qualifikationen keine Stelle finden, könnte deshalb die Vorurteile mancher Arbeitgeber verstärken, dass alle älteren Mitarbeitenden weniger produktiv und qualifiziert sind als jüngere. Diese mediale Defizitorientierung könnte statt einer Sensibilisierung für die Situation älterer Mitarbeiter genau das Gegenteil verursachen, nämlich die Stigmatisierung einer arbeitsfähigen Altersgruppe.

Zweitens streuen wir damit unnötigerweise Unsicherheit und Ängste in der breiten Bevölkerungsschicht der 50Plus, die eigentlich Vollbeschäftigung geniesst. Mit der Ankunft der geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in dieser Alterskategorie könnte dadurch der Druck auf die Sozialpartner und die Politik steigen, weitere Schutzregelungen für ältere Mitarbeitende einzuführen. Sozialpläne, die eine Freistellung ab Alter 58 verbieten, grosszügige Entschädigungen bei Zwangspensionierung, Recht auf Arbeit im Alter oder längerer Kündigungsschutz usw. würden zwar den Fünfzigjährigen helfen, die bereits eine Stelle haben. Sie würden jedoch die Anstellung neuer Arbeitnehmer dieser Alterskategorie erschweren, weil sie ihre Lohnkosten verteuern und die Flexibilität der Arbeitgeber einschränken. Dies würde die Problematik der Langzeitarbeitslosigkeit nur verschärfen: Der Schutz des einen erhöht unweigerlich die Eintrittsbarriere des anderen.

Dieser Artikel erschien im Monatsmagazin 
der «Schweizer Versicherung» vom Januar 2015.